Am Plattensee – über die Reise hierher ist einen Beitrag weiter unten zu lesen.

In bester Thomas-Mann-Manier bin ich heute morgen zum Ufer geeilt, um den Sonnenaufgang und die Ruhe zu genießen. Letztere entschädigt und bietet das Kontrastprogramm zu dem, was sonst hier geboten ist.
Vielleicht hätte ich mich vorher über die Uferorte und den See an sich schlau machen sollen. Bislang hatte ich nur gewusst, dass das Balaton das einstige DDR-Ferienmekka war und einfach nur traumhaft schön sein soll. Ich hatte also ein bisschen ungarische Fischerdorfidylle mit gemäßigtem Tourismus erwartet – so ungefähr, wie in den Flippers-Liedern über italienische Inseln und kleine Bötchen, nur eben mit südöstlichem Einschlag.

Als ich gestern Abend auf der Landstraße hierher lief, um ein Gefühl für die Gegend zu bekommen, schien auch alles noch in mein Bild zu passen. Wenig Verkehr, Felder bis zum Horizont und im ersten Dorf gleich ein Wassermelonen-Verkäufer, der entspannt sein Buch liest.

Doch schon beim genaueren Hinsehen zeigen sich Brüche im friedvoll anmutenden Ambiente. Schätzungsweise jedes fünfte Haus steht in den Ortschaften, durch die ich gekommen bin, zum Verkauf. Dass die Schilder auch eine deutsche Übersetzung haben, gibt mir einmal mehr auf dieser Reise das unheimliche Gefühl, dass die Wirtschaftsmacht meines Heimatlandes viel mehr Bereiche umfasst, als ich bislang angenommen hatte.
Als ich an einer Einfahrt „Feriendomizil von Susi und Ralf“ lese und im Hof Autos mit Recklinghäuser Kennzeichen stehen sehe, ahne ich, dass dieser Ort hier nichts mit dem aus meiner Vorstellung gemeinsam hat.

Je näher ich dem Ufer komme, desto klarer wird: Das hier ist vor allem eine deutsche Ferienkolonie. Deutsche Hotelnamen (ich selbst residiere im Hotel „Sonnenschein“, da es keine Jugendherbergen gibt), Familienurlauber aus dem Sauerland, „Gulaschhütten“ und „Folkloreabende“ und nach 22 Uhr ein Nachtleben, das von überlautem Ballermann-Dancefloor und billigem Bier geprägt ist.

Um die Hüttchen und Pavillons geistern immer wieder unter weiten T-Shirts versteckte Massebäuche zwischen 20 und 35, deren Besitzer sich im Hörtest als Landsmänner entpuppen. Ich bestelle mir in einem der Läden einen Wodka und überlege, wie sich wohl Bruce Chatwin oder Ernest Hemingway an diesem Ort fühlen würden, zwischen Kicker, billigem Alkohol und der Leere, mit der ein solcher Abend verrinnt.
Hemingway hätte wohl zumindest den Alkohol gemocht.
Ernest Hemingway, der alte Brutalo, hätte sich mit seinem Bowie-Messer eigenhändig ein überzähliges „m“ aus seinem Namen geschnitten.
@wahrensfeld: Da hatte ich Glück, seinem Geist gestern nicht über den Weg zu laufen. Ist korrigiert. *hüstel*
Ich wollte auch gar nicht oberlehrerhaft erscheinen. Tolle Bildunterschriften übrigens! Bei „Wer kann hier widerstehen?“ musste ich wirklich lachen.