Tag 6: Lerne die Konkurrenz kennen

Abgezockte Trampveteranin (CC, Attr-Share-Alike)

Nach sechs Tagen würde ich heute zum ersten Mal von einem normalen Tag auf der Straße sprechen. Was bedeuten könnte, dass ich inzwischen Routine habe. Nach der gestrigen Fahrt bin ich etwas sensationsverwöhnt, ich gebe es zu, was aber Begegnungen wie mit Sebastian, der mich etwa hundert Kilometer Richtung Warschau mitgenommen hat, nicht weniger wertvoll macht.

Sebastian ist Grafikdesigner, hat in Lodz studiert (wo im Sommer David Lynch residiert und auf der Prachtstraße beim Kippenrauchen anzutreffen ist, wie er mir erzählt) und wohnt nun in Krakau. „Krakau“, sagt er, „ist inzwischen viel zu sehr Partystadt geworden“. Wer hier abends durch die Straßen geht, kann ihm nur zustimmen.

Angenehme Typen auf der Schnellstraße (all rights reserved)

Leider kann ich außer Zustimmung nur wenig zur Konversation beitragen, zwischenzeitlich treibt mir die Müdigkeit die Tränen in die kleinen roten Augen. Ich bin inzwischen auch an einem Punkt, wo die Rastlosigkeit in manchen Momenten auch ein Gefühl der Ziellosigkeit entstehen lässt. Oder ist es etwas anderes? „Ich bin heute das erste Mal seit zwei Monaten daheim“, erzählt Sebastian, der seine Mutter besucht. „Und jetzt, wo ich die Umgebung wieder erkenne, merke ich, wie sie mir gefehlt hat.“ Könnte es sein, dass mich nach knapp einer Woche das erste Mal ein Gefühl des Heimwehs erreicht, das Bewusstsein eines Mangels der digitalen Kommunikation mit den Menschen, die mir etwas bedeuten? Die Erkenntnis, dass ich trotz des Blogs nur einen Bruchteil meiner Gedanken und Eindrücke schildern kann?

Ich kann diese Frage noch nicht beantworten, denn auch heute finde ich mich in Situationen wieder, die ich mir vorher nicht hätte ausmalen können. Schon bevor mich Sebastian aufgegabelt hatte, hatte ich erstmals an einer Stelle mit einer Konkurrenztramperin gestanden: Eine etwa 45-50jährige Frau mit einer Handtasche.

Ein harter Kampf auf Polens Straßen (CC, Att-Share-Alike)

Beim ersten Mal hatte ich noch im Grasgraben gewartet, bis sie eine Mitfahrgelegenheit gefunden hatte, doch als mich mein Fahrer 100 Kilometer vor Warschau aussteigen lässt, treffe ich auf eine ganze Gruppe von Trampern, die alle mit ihren Händen auf- und abwedeln (das polnische Anhalterzeichen).

Tradition verpflichtet (CC, Att-Share-Alike)

Ich muss mich den Kampf stellen, doch die Profis sind mir haushoch überlegen: Als ich von einer kurzen Pinkelpause wiederkomme, ist ein Großteil bereits unterwegs – nur eine ältere Dame im roten Kleid wartet noch. Ich stelle mich dem Duell: Ein Trucker fährt auf uns zu, bremst und hält an – vor der Dame. Sie steigt ins Führerhaus auf und winkt mich dazu. Ich springe rein, ziehe mit Mühe meinen Rucksack in die Kabine um dort zu erfahren, dass die Fahrt garnicht nach Warschau geht. Ich springe wieder ab, die rote Lady hat mich vernichtend geschlagen.

Wenig später finde ich dennoch den Weg in die Hauptstadt: Ein älterer Herr mit schütterem Haar, rotem Kopf und rotstichiger Sonnenbrille nimmt mich mit. Er hat ein Funkgerät dabei und die Sprüche, die er dort absetzt, erscheinen mir eher gelallt als gesprochen. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen, wobei sich herausstellt, dass er bereits seit 20 Stunden unterwegs ist, was er mit genau der wegwerfenden Handbewegung begleitet, die er eigentlich bei jedem Thema einsetzt.. Als ich ihm von meinen Reiseplänen erzähle, setzt er sofort seine Kumpels per Funk davon in Kenntnis „Tourista“, „Monachium“ (das polnische Wort für München), „Oslo“ höre ich heraus. Die wegwerfende Handbewegung bleibt aus. Vielleicht glaubt er mir aber auch einfach nicht.

Kurze Orga-Anmerkung: Da samstags keine LKW fahren, werde ich es wahrscheinlich nicht bis nach Litauen schaffen. Ich plane deshalb, erst einmal Suwalki im Norden Polens anzusteuern. Danzig wäre auch toll, aber wegen Kaliningrad ziemlich schwierig, von dort wegzukommen. Ich rechnet damit, dass die baltische Route etwas länger als geplant dauern wird. Wahrscheinlich lautet der Plan deshalb: Suwalki – Kaunas – Riga – Tallinn. Das wären vier Tage und ich wäre erst Mittwoch in Skandinavien, und damit nicht wie geplant zur Halbzeit in Oslo. Wir werden, das hier ist ja kein Rennen und der harte Teil der Tour kommt noch.

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