
Es ist bereits dunkel, als ich bei meinem Couchsurfing-Gastgeber R. ankomme. Ich habe – wieder einmal – großes Glück: Er wohnt direkt im Zentrum, ich muss also nicht noch lange Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Das imposante Haus, in dem er wohnt, hat die Größe eines kompletten Blocks, vor den Wohnungseingängen sind noch einmal extra abgeschlossene Gittertüren angebracht.
Als ich hereinkomme, gießt der Herr der Wohnung gerade seine Chili-Schoten, nebenbei läuft ein Laptop mit einer Serie. R. ist schlaksig, seine kurzen Hosen betonen die langen Beine noch zusätzlich, beim Laufen federt er so locker, dass es beinahe etwas ungelenkt wirkt. Ich habe nicht viel Zeit für R., da ich mich mit zwei Bekannten in der Stadt treffe – was mir ein ziemlich schlechtes Couchsurfer-Gewissen macht, zumal R. im Gespräch seine ziemlich trockene Weltsicht mit einem unwiderstehlichen australischen Akzent darlegt. So behauptet er, die polnische Sprache nicht zu lernen, weil sie „in jeder Rangliste unter den drei schwierigsten Sprachen der Welt liegt“. Seine Arbeit nimmt er nicht allzu ernst: „Ich arbeite nicht, ich unterrichte hier ein bisschen Englisch“, sagt er.
R. ist weder glücklich, noch unglücklich, dass er hier lebt: Er zog nach Warschau, um eine hier lebende Freundin zu trösten, deren Freund sich von ihr getrennt hatte. „Ich reiste geradedurch Deutschland und hatte nichts zu tun“, sagt er. Als ich frage, ob die Freundin immer noch hier lebt, antwortet er trocken: „Ja, und sie hatte inzwischen vier oder fünf Freunde.“

Leider habe ich keine Zeit für ein tieferes Gespräch, weil ich zum Präsidentenpalast muss, wo meine Bekannten auf mich warten. Der Vorplatz des prächtigen Gebäudes ist aufgrund der Kreuz-Kontroverse inzwischen abgesperrt, auf der einen Seite steht die Polizei, auf der anderen Demonstranten. Zwischendurch kommt es immer wieder zu lautstarken Debatten zwischen Passanten, Demonstranten und denen, die sich einfach dazugestellt haben, um zu diskutieren. Inzwischen, so erzählen mir meine Bekannten, versucht der Gründer des radikal-katholischen Senders Radio Maria die Proteste zu eskalieren. „Er hat eine Art Armee, die hier immer aufläuft. Eine Armee, die vor allem aus alten weißhaarigen Frauen besteht.“

Als ich ein paar Stunden später zurückkehre, gießt R. Gerade wieder seine Pflanzen. Er scheint ähnlich fixiert darauf wie auf den Wunsch, keine unnötige Energie zu verschwenden. Schon vorhin hatte er das Licht in der Küche (in der meine Couch steht) ausgemacht, obwohl nur kurz im Gang stand, um mit ihm zu plaudern. Als ich beim Zähneputzen kurz das Bad verlasse, um meditativ aus dem Fenster zu sehen, springt er aus seinem Zimmer und knipst hinter mir das Licht aus. Die Mischung aus trockenem Humor, australischem Akzent und energetischer Pedanterie hätte ich gerne noch näher kennengelernt. Leider ruft am Samstagmorgen bereits wieder die Straße.