Lebensnah im Nachtleben

Das ist der wilde Osten (CC, Att-Share-Alike)

Der Blick aus meinem Hotelzimmer täuscht etwas. Suwalki ist nicht schön, nimmt man einmal den Stadtpark aus. Es ist eine langgezogene Durchfahrtsstadt, die das Schicksal so vieler Grenzorte teilt: Niemand will hier bleiben.

Mein Hotel, das „Hańcza“, besticht ebenfalls durch den Charme der Tristesse und erinnert mich frappierend an das Berliner Verlagshaus. Gebäude, Personal und Ambiente würde ein Zeitreisender spontan in die UdSSR der Achtziger einordnen, die dunklen Teppiche, verrauchten Hotelzimmer und schummrigen Gänge würden Gerd Ruge wahrscheinlich ganz melancholisch machen.

Willkommen zurück, Herr Gorbatschow

Die Erkundung des Nachtlebens zeigt, dass es hier eher traditionell zugeht – und eigentlich das Leben in der Provinz überall in Europa ähnlich ist. Ich folge unauffällig einer Gruppe junger Menschen in der Hoffnung, sie zeigten mir den Ort, den man hier gesehen haben muss. Es stellt sich heraus, dass sie einen 24-Stunden-Markt anpeilen, um dort Alkohol zu kaufen. Alkoholgeschäfte spielen ohnehin eine zentrale Rolle in der Abendgestaltung, in der „Galeria Alkoholi“ am Stadtpark geben sich die Menschen die Klinke in die Hand. Übrigens finde ich, dass eine „Galeria Alkoholi“ um einiges lebensnäher als beispielsweise eine „Galeria Kaufhof“ wirkt.

Ein beschränktes Sortiment hat auch Vorteile (CC, Att-Share-Alike)

So wandere ich ziellos durch die Straßen und kann unter anderem durch ein Fenster eine Tanzgesellschaft im besten Alter (Hochzeit? Silberhochzeit?) beobachten, die engagiert die Hüften schwingt, während ein Fotograf auf Rollerblades (!) zwischen ihnen umherfährt und Bilder macht.

Flanieren ausdrücklich erwünscht (CC, Att-Share-Alike)

Als ich schon glaube, die bunten Lichter im örtlichen Handyladen seien die einzigen Diskolichter der Stadt, finde ich doch noch einen Pub/Club mit Tanzfläche. Während ich an der Bar noch ein paar Zloti loswerden will, tanzen ein paar Meter weiter kurzhaarige Jungs (Männer mit Frisuren sind an diesem Abend eher selten) mit äußerst jungen Frauen zu bester Eurodance-Mucke.

Saturday Night Fever (CC, Att-Share-Alike)

Diese ist es dann auch, die heute morgen durch den Gang schallt und mich aus meinen Träumen reist. Ein passender Start in den Tag, der heute in etwa 380 Kilometer Entfernung in Riga enden soll. Allerdings werde ich heute wohl das erste Mal in den Regen kommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert