Und es hat doch noch aufgehört zu regnen heute Nachmittag, und nun scheint auch noch die Sonne, während ich am Terminal im Hafen von Tallinn warte. Um 18 Uhr geht es nach Helsinki, per Fähre, weil der Wasserweg nach Finnland der deutlich angenehmere ist. Allerdings ist es mir etwas peinlich, dass ich Estland nur im Schnelldurchlauf besucht habe. 20 Stunden sind zu wenig für dieses Land, aber ich komme ja sicher einmal wieder vorbei.

Den Aufenthalt angenehmer hätte mir auch besseres Wetter gemacht; allerdings goss es heute früh in Pärnu „wie aus Kübeln“, weshalb der Strandbesuch ausfiel. Doch ich hatte Glück, dass mich nach 20 Minuten an der Straße Bettina, eine Deutsche auflas (und sofort erkannte, dass ich Deutscher bin – „Wer sonst tut sich sowas an?“). Bettina ist Kamerafrau und hat gerade den Sommer am Peipussee verbracht, der Estland und Russland trennt, wo sie über die Altgläubigen dort eine Dokumentation gedreht hat. Bettina ist das Streben nach Freiheit nicht fremd, weshalb wir auch über Sinn und Ziel einer solchen Reise diskutiert haben, während das defekte Navi alle 10 Sekunden die aktuelle Route ansagt.

Bettinas Leitsatz ist nicht neu, und dennoch darf er nicht oft genug wiederholt werden, um Bloggertramp zu begreifen: Manchmal gibt es einen Weg und ein Ziel, und manchmal entwickelt sich alles – auch, was die persönlichen Schlüsse und Auswirkungen betrifft. Ich weiß, dass es selbst etwas dauern wird, bis ich die vielen Eindrücke verarbeitet habe, und ich werde sicherlich eine angemessene Form dafür finden. Ob dies öffentlich oder einfach nur für mich selbst stattfinden wird, werden wir sehen.
Gerade gehen Bootspassagiere zum Boarding, viele von ihnen Finnen mit reichlich Alkoholreserven (hier gibt es für die Kartons mit den Bierdosen extra Rollwägen). Schon bei der letzten Kneipe vor dem Terminal konnte man einige Passagiere beim Vor- und/oder Nachglühen erleben, ich wurde von ihrem Schwanken selber ganz seekrank.
Finnland wird eine Art Heimspiel für mich, da ich hier meine Erasmuszeit verbracht habe. Die Vergangenheit zurückholen kann und will ich nicht, weshalb ich auch meinen Studienort ausspare und von Helsinki morgen nach Turku weitertrampe, wo bereits abends die Fähre nach Stockholm wartet. Allerdings gebe ich zu, dass ich ein bisschen Angst vor der zur erwartenden Nostalgie habe, vor der Vorstellung, meine Erinnerungen zum Greifen nahe zu sehen und dann doch mit der Hand gegen eine Glaswand zu stoßen, die mich davon trennt. Aber auch das gehört zum Gefühl des Unterwegsseins.
Nun sage ich aber erst einmal dem Baltikum adieu, diesen drei kleinen Landflecken, die so versteckt und doch so zerbrechlich sind, im Schatten des allzu riesig erscheinenden Nachbarn Russland. Für die Zukunft der Kommunikationsgesellschaft ist man hier zumindest gerüstet – das kostenlose W-Lan hat gerade das obige YouTube-Video (9 MB) in 12 Sekunden hochgeladen. Aber das nur für die Nerds unter meinen Lesern (Statistiken zufolge 80 Prozent).
