Tag 13: Von wegen schweigende Schweden

Hausmeister gesucht

Vielleicht habe ich zu viele Horror-Filme gesehen, aber irgendwie erinnert mich mein Hostel an das Hotel aus „The Shining“. Es ist das Ende der Sommersaison hier in Schweden und dementsprechend verlassen ist das Haus hier, eine ehemalige Kaserne, die durchaus fein eingerichtet ist. Wenn ich nun gefragt werde, ob ich den Hausmeisterjob für den Winter übernehmen soll, seile ich mich aus dem Fenster ab.

Natürlich trügt der Eindruck, denn wenige hundert Meter von hier geht die Autobahn, etwas weiter über den Fluss liegt Karlstad, eine Stadt mit 85.000 Einwohnern im Westen Schwedens, nur 220 Kilometer von Oslo entfernt. Weil sie damit ein wichtiger Handelsknotenpunkt ist, bietet die Stadtarchitektur neben der üblichen skandinavischen Gruppierung (lange Fußgängerzone mit Stichstraßen zur Hauptstraße, großer Marktplatz mit Busanbindung) durchaus prachtvolle Gebäude.

Städtchen am Fluss

Der Weg hierher hat mir einmal mehr gezeigt, weshalb ich diese Art zu reisen so liebe – auch wenn es inzwischen eine Routine ist, sich an den Rand der Autobahn zu stellen. Heute früh hatte sich an der Rezeption noch folgender Dialog abgespielt:

Ich: „Is it difficult to hitchhike in Sweden?“

Rezeptionistin: „Well, nobody does it here, so they might just think you’re a lunatic.“

Doch alle Befürchtungen entpuppten sich zumindest heute als falsch: Nie musste ich länger als zehn Minuten warten, dazu machte ich auch noch Bekanntschaft mit sehr angenehmen Menschen.Die blonde Helen, Anfang 50, nahm mich 30 Kilometer mit und schwärmte mir auf ihre eigene, ganz schüchterne Art vom Norden Schwedens und den Menschen dort vor. Kurz darauf saß ich bei Naseem im Auto, eine Beraterin, deren eigentliche Passion jedoch das Schreiben ist. Gerade hat sie einen Produzenten gefunden, der ihr bislang erfolgloses Buch verfilmen möchte. Diskussionen über den Plot (eine Frau zieht vom Land nach Stockholm und erlebt dort, wie sich ihre Persönlichkeit verändert) folgten Debatten über Schweden an sich, den Sinn des Lebens und berufliche Auszeiten (Reihenfolge beliebig).

Naseem ist eine sehr gut gelaunte Frau (mit indischen Wurzeln, wer sich über den Namen wundert), die viel und gerne lacht – und sich dabei so tief ins Gespräch vertieft, dass sie sogar ihre Ausfahrt in Örebro verpasst. Als sie ihr Auto wieder in die richtige Richtung navigiert, übersieht sie einen Kleinwagen auf der Vorfahrtstraße, der uns beinahe in die Seite rauscht und laut hupt – doch Naseem und ich lachen einfach.

Erik, ein älterer Herr, der mir ganz höflich bei der Verabschiedung seinen kompletten Namen nennt, fährt mich einige Kilometer weiter, worauf ich im Wald stehe. Ich bereue es fast ein bisschen, die Wälder nur als Umrahmung von Straßen wahrzunehmen, aber selbst das genügt, um mir ein Gefühl der Freiheit und Erholung zu geben – auch wenn es bei 13 Grad und Wind aus Norden dann doch schon recht herbstlich ist.

Bloggertramp im Wald

Bis kurz vor Karlstad nehmen mich zwei Exil-Iraker mit. Einer von ihnen, Sardut (so die Lautschreibweise), kann sehr gut Englisch. Witzigerweise ist er Sunnite, während der Fahrer Schiite ist. „Warum klappt das hier im Auto und in Eurem Land nicht?“, frage ich, doch Sardut winkt ab. Er hat in Bagdad im sunnitischen Dreieck gelebt und für die US-Armee als Übersetzer gearbeitet. „Drei Mal wäre ich fast erschossen worden, drei Mal von US-Soldaten“, klagt er – ist aber eigentlich ein prächtig gelaunter Typ, der in seine Erzählungen immer mal wieder einen Witz einstreut, oft auf Kosten Amerikas.

Frieden, so ist er sich sicher, wird es auf absehbare Zeit nicht geben – weshalb er mit seiner Familie vor fast zwei Jahren nach Europa ausgewandert ist. „Keine Aschenbecher in Volvos, was ist das für ein komisches Land“, scherzt er, während er an seiner Kippe zieht. Vom Irak in der Zeit nach Saddam berichtet er voller Zynismus und mit großer Klarsicht, sobald al-Maliki nicht mehr an der Macht ist, wird der Schiitenführer Muqtada as-Sadr zum wichtigen Mann im Hintergrund.

Dazu erzählt er noch äußerst einprägsame Anekdoten. „In Bagdad herrschte ab 23 Uhr immer eine Ausgangssperre, im Fernsehen und Radio gab es Durchsagen, dass jeder, der zu diesem Zeitpunkt noch auf der Straße ist, ohne Vorwarnung erschossen werde. An einem Abend kam ein Iraker um fünf vor elf mit seinem Auto an den Kontrollpunkt. Ein irakischer Soldat nahm seine Waffe, und erschoss ihn ohne Vorwarnung. Der US-Soldat, der mit ihm am Checkpoint stand, schrie ihn entsetzt an: ‚Warum hast Du das getan, wir haben doch noch nicht elf!‘. Daraufhin entgegnete der irakische Soldat: ‚Ich weiß wo er wohnt, das ist drei Kilometer von hier – er hätte das niemals mehr rechtzeitig dahin geschafft.‘ “ Sardut lacht kräftig, als er die Geschichte/urbane Legende erzählt. In den Irak will er nie mehr zurückkehren.

Waldeinsamkeit für Tramper

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert