
Zwölf Stunden auf den Straßen Schottlands bedeuten den Abschied von diesem Land. Fünf Tage habe ich hier verbracht, die mir auf beinahe träumerische Art und Weise wie ein ganzes Lebensjahr vorkommen – der umgekehrte Rip Van Winkle, sozusagen. Ein letzter Tag, der mit Portree in der Morgensonne begann und mit Stranraer im sich auflösendem Abendlicht endete.

Dazwischen verläuft mein Weg schon beinahe beunruhigend gut: Martin, ein schwäbischer Tourist, nimmt mich mit bis zum Eilean Donan, dem Highlanderschloss mit, wo mich Carlos und George aufgabeln und weiter Richtung Süden bringen.

Jane und Paul, ein ehemaliger Stahlarbeiter, sowie Craig, ein greiser ehemaliger Kirchenschul-Lehrer mit Hörgerät, bieten mir nicht nur bereitwillig eine Mitfahrgelegenheit, sondern erklären mir auch die Landschaft, die sich mal schottisch grün, mal beinahe alpin um uns gruppiert und mir im Sonnenlicht einen Abschied bereitet, den eigentlich nur Könige und Naturgötter verdient hätten.



Drei Schotten, die gerade aus den Begen kommen, fahren mich bis in einen Vorort von Glasgow, wo ich für einige Stationen den Zug nehme, um auf die richtige Straße nach Stanraer zu kommen. Als ich in Ayr aussteige, ist es bereits 18 Uhr – und eine Stunde später erreiche ich nach langem Fußmarsch erst wieder die Schnellstraße, 50 Meilen bis Stanraer und eine Stunde bis Sonnenuntergang.
Die untergehende Sonne ist kein gutes Zeichen für Anhalter, da Nachttrampen für Fahrer wie Tramper nicht die angenehmste Sache ist. Eine ähnliche Situation hatte ich bereits auf dem Weg nach Riga, hatte aber schnell eine Mitfahrgelegenheit gefunden. Dieses Mal scheint es anders: Die Autofahrer blicken abweisend, zudem stehe ich an einer Stelle, wo sie mir mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommen. Doch gerade, als eine Wolke sich vor die Sonne schiebt und so nochmals alles dunkler wird, hält ein Kleinwagen. In ihm sitzt ein dicker, glatzköpfiger Mann mit Schnauzbart, den die meisten rein äußerlich wahrscheinlich in die Schublade „Metzger-Typ“ stecken würden. Als ich meinen Rucksack auf den Rücksitz schmeiße, sehe ich eine blaue Plane. Für einen kurzen Moment weicht die Freude dem Misstrauen und mir kommt der Gedanke, dass es sich um einen Serienkiller handeln könnte, der bereits alles bestens vorbereitet hat.
Natürlich ist alles ganz anders:Tom, so heißt mein Fahrer, ist nicht nur waschechter Schotte, sondern auch auf schottische Weise bodenständig. Er ist von seiner Frau geschieden, hat aber das Sorgerecht für die beiden Kinder, weshalb er gerade auf dem Weg zum Luxusgolfplatz in Turnberry ist, um dort Golfbälle zu suchen, zu waschen und wieder zu verkaufen. „Ich würde niemals Geld vom Staat annehmen, es geht auch so“, sagt er bestimmt. Der Staat, so argumentiert er, solle arbeitsscheuen Menschen (zu denen er seine Ex-Frau zählt) nicht noch Geld geben;Drogensüchtige bräuchten keine Therapie, sondern sollten einfach irgendwo zum Sterben gebracht werden.
Wer hinter all dem einen klassisch konservativen Geist vermutet, liegt falsch: David Cameron verachtet Tom genauso wie Maggie Thatcher („die Schotten hätten niemals eine Frau zur Premierministerin wählen dürfen“). Wir unterhalten uns über Fußball und Tom beklagt sich über die hohen Eintrittspreise: „25 Pfund kostet ein Ticket“, beschwert er sich, „dafür kann ich eine ganze Woche meine Familie ernähren.“ Er macht eine kurze Pause: „Oder einen Abend lang trinken.“ Auch heute Abend wird er nach der Arbeit ein paar Gläser kippen, seine Frau kümmert heute um die Söhne. Zum Abschied wünscht er mir viel Spaß in Irland: „Die Iren, die Schotten, die Waliser sind gut“, sagt er, „die Engländer…“ (er macht mit seinem Mund ein Pfurzgeräusch). „Ich mag die Queen, Gott segne sie, aber die Engländer…“
Tom lässt mich in Turnberry raus, das nicht nur einen Golfplatz hat, sondern auch Ferienwohnungen und Hotelzimmer für reiche Amerikaner und Engländer („500 Pfund für zwei Nächte, dafür könnte ein Schotte viel trinken“, hat er mir erklärt). Die Sonne ist nun blutrot gefärbt und verschwimmt im Nebel. Auf dem Meer liegt still eine Vulkaninsel, auf der ein einziges Haus stehen soll – das von Paul McCartney, der die Insel gekauft hat. Obwohl es noch 35 Meilen bis Stranraer sind, macht mir der Gedanke, hier irgendwo in den Dünen zu schlafen, keine Angst – höchstens die Lungenentzündung, die mir aufgrund des fehlenden Zeltes drohen würde.

Am Ende lande ich doch noch in Stranraer – ein schottisches Ehepaar nimmt mich ein paar Meilen mit und gibt mir sogar seine Telefonnummer, falls ich es nicht weiterschaffe; ein schottischer Trucker liest mich auf dem Weg zum Hafen auf. Während wir die steilen Küstenwege entlangfahren, legt sich die Nacht über das Land. Auch wenn ich erst am Freitagmorgen die Fähre nach Belfast besteige, sind dies die Momente des stillen Abschieds.