Archiv der Kategorie: Schweden

Tag 14: Nervenzusammenbrüche und Naturwunder

Flaggenparty

Den größten Lacher des Tages erntete ich heute von Simon, dem Münchner mit dem Kajak, bei der Präsentation meines Regen-Outfits. Ich gebe zu, vielleicht sind die Flaggen (während des Trampens hinter meinem Kopf hervorragend) etwas übertrieben – sie sollen angeblich dabei helfen, mitgenommen zu werden – dennoch fühlte ich mich perfekt vorbereitet.

Simons Lacher blieb erst einmal für lange Zeit der einzige. Fiese Regenschauer von oben, mich ignorierende Skandinavier von vorne – von 10 bis 14 Uhr stand ich entweder sehnsüchtig den Daumen haltend an der Straße, lief die Autobahn auf der Suche nach einem besseren Platz entlang oder biss vor Wut in meinen Regen-Poncho. Auch wenn es nach 40 Minuten zu regnen aufhörte, trieb mir die Machtlosigkeit die Wuttränen in die Augen – zum ersten Mal wäre ich lieber zuhause als unterwegs gewesen. Nach einigen lauten Flüchen überlegte ich schon, mich zu Fuß auf den Weg in die nächste Stadt zu machen und dort den Bus nach Oslo zu nehmen.

Wunderschön, diese Leitplanken

Doch ich hatte Glück: Auf einem Parkplatz im Naturschutzgebiet einige Kilometer hinter Karlstad hielt ein deutsches Auto, dessen älterer Fahrer sich trotz voller Ladung breitschlagen ließ, mich vor dem Einsetzen des nächsten Schauers bis zu dem Punkt mitzunehmen, wo sich die Autobahn in Richtung Göteborg oder Oslo abzweigt. Roderich heißt der Engel, kommt aus dem Siegerland und ist Skandinavien-Liebhaber. Vor 40 Jahren arbeitete er das erste Mal in Finnland auf einem Bauernhof und kehrte seitdem immer wieder in die Gegend zurück. Doch der Bauernhof, auf dem er noch viele Jahre später häufig zu Gast war, ist inzwischen abgebrannt: Angezündet vom Besitzer, der sich noch am gleichen Abend erschoss. „Es gibt keine Stunde, in der ich nicht an Finnland denke“, sagt mir Roderich zum Abschied. Die Melancholie in seinen Augen würde einem echten Finnen alle Ehre machen.

Ins Licht

Ich gehe ein paar hundert Meter weiter, voller Hoffnung, nun doch noch den Weg nach Oslo zu meistern. Passend dazu wird die Landschaft bereits felsiger, die Regenfälle der letzten Stunden finden nun in kleinen Felswasserfällen den Weg aus den Wäldern. Und wirklich habe ich unglaubliches Glück: Johan aus Karlstad ist gerade auf dem Weg zur Arbeit auf einer norwegischen Offshore-Bohrinsel. Er nimmt mich fast bis nach Oslo mit und erzählt mir viel über Schweden und Norwegen, zum Beispiel, dass Autos in Norwegen für Fußgänger immer stoppen müssen, sobald diese ihren Fuß auf die Straße setzen.

Keine Zeit für den Sprung ins kalte Wasser
Wetterfest
Nordseehorizonte

Während der kurzweiligen Fahrt kommen wir an Landschaften vorbei, die ich weder mit meiner kleinen Handykamera adäquat festhalten, noch beschreiben kann. Seen, Weiden, grüne Wälder und ein Wetter, dass sich minütlich zu ändern scheint, sobald sich die hohen Wolkentürme dunkel färben. Es ist nur ein kleiner Eindruck, den ich von Norwegen erhalte, doch es ist ein mächtiger. Da kann Oslo, die Stadt an der Nordsee, fast nicht mithalten. Was sind schon menschliche Bauwerke im Vergleich zu den Wundern, die Wind, Sonne und Regen in die Landschaften über Jahrmillionen in die Landschaften zeichnen.

Stadt der roten Ampeln

Morgen mache ich mich auf den Weg in eine weitere Wunderlandschaft: Um 11 Uhr fliege ich nach Schottland.

Halbzeit, aber keine Pause

Toxisch

Dieses Symbolbild hier zeigt nicht meine, sondern die Schuhe von Simon aus München, mit dem ich ein Jugendherbergszimmer teile. Es ist ein Akt der Gnade, dass er sie nicht im Zimmer stehen lässt, immerhin haben sie zehn Tage Kajaktour hinter sich. Mit meinem bayerischen Gefährten habe ich gestern auch das Nachtleben erkundet, Clubs mit Holzböden, hübsche Menschen, unbezahlbares Bier. So unbezahlbar, dass Simon nun überlegt, die nächsten Tag zu campen, bis er wieder am Monatsanfang Geld auf dem Konto hat. Leider regnet es allerdings, was auch meine Reise wenig angenehm machen könnte.

Blondinen bevorzugt

Heute ist Bergfest, da die Hälfte meiner Reise um ist, und tatsächlich könnte es ein steiler Weg werden: Meine heutige Tour soll mich nach Oslo führen – von dort geht es dann Sonntag mit dem Flugzeug weiter, wie von Euch gewünscht. Ich habe für morgen noch einen relativ günstigen Flug nach Aberdeen in Schottland gefunden, von wo ich erst nach Norden, dann nach Westen und per  Fähre nach Nordirland/Irland aufbrechen möchte. Die genaue Route überlege ich mir heute Abend, jetzt aber geht es erst einmal wieder raus in den Regen auf die Straße.

Tag 13: Von wegen schweigende Schweden

Hausmeister gesucht

Vielleicht habe ich zu viele Horror-Filme gesehen, aber irgendwie erinnert mich mein Hostel an das Hotel aus „The Shining“. Es ist das Ende der Sommersaison hier in Schweden und dementsprechend verlassen ist das Haus hier, eine ehemalige Kaserne, die durchaus fein eingerichtet ist. Wenn ich nun gefragt werde, ob ich den Hausmeisterjob für den Winter übernehmen soll, seile ich mich aus dem Fenster ab.

Natürlich trügt der Eindruck, denn wenige hundert Meter von hier geht die Autobahn, etwas weiter über den Fluss liegt Karlstad, eine Stadt mit 85.000 Einwohnern im Westen Schwedens, nur 220 Kilometer von Oslo entfernt. Weil sie damit ein wichtiger Handelsknotenpunkt ist, bietet die Stadtarchitektur neben der üblichen skandinavischen Gruppierung (lange Fußgängerzone mit Stichstraßen zur Hauptstraße, großer Marktplatz mit Busanbindung) durchaus prachtvolle Gebäude.

Städtchen am Fluss

Der Weg hierher hat mir einmal mehr gezeigt, weshalb ich diese Art zu reisen so liebe – auch wenn es inzwischen eine Routine ist, sich an den Rand der Autobahn zu stellen. Heute früh hatte sich an der Rezeption noch folgender Dialog abgespielt:

Ich: „Is it difficult to hitchhike in Sweden?“

Rezeptionistin: „Well, nobody does it here, so they might just think you’re a lunatic.“

Doch alle Befürchtungen entpuppten sich zumindest heute als falsch: Nie musste ich länger als zehn Minuten warten, dazu machte ich auch noch Bekanntschaft mit sehr angenehmen Menschen.Die blonde Helen, Anfang 50, nahm mich 30 Kilometer mit und schwärmte mir auf ihre eigene, ganz schüchterne Art vom Norden Schwedens und den Menschen dort vor. Kurz darauf saß ich bei Naseem im Auto, eine Beraterin, deren eigentliche Passion jedoch das Schreiben ist. Gerade hat sie einen Produzenten gefunden, der ihr bislang erfolgloses Buch verfilmen möchte. Diskussionen über den Plot (eine Frau zieht vom Land nach Stockholm und erlebt dort, wie sich ihre Persönlichkeit verändert) folgten Debatten über Schweden an sich, den Sinn des Lebens und berufliche Auszeiten (Reihenfolge beliebig).

Naseem ist eine sehr gut gelaunte Frau (mit indischen Wurzeln, wer sich über den Namen wundert), die viel und gerne lacht – und sich dabei so tief ins Gespräch vertieft, dass sie sogar ihre Ausfahrt in Örebro verpasst. Als sie ihr Auto wieder in die richtige Richtung navigiert, übersieht sie einen Kleinwagen auf der Vorfahrtstraße, der uns beinahe in die Seite rauscht und laut hupt – doch Naseem und ich lachen einfach.

Erik, ein älterer Herr, der mir ganz höflich bei der Verabschiedung seinen kompletten Namen nennt, fährt mich einige Kilometer weiter, worauf ich im Wald stehe. Ich bereue es fast ein bisschen, die Wälder nur als Umrahmung von Straßen wahrzunehmen, aber selbst das genügt, um mir ein Gefühl der Freiheit und Erholung zu geben – auch wenn es bei 13 Grad und Wind aus Norden dann doch schon recht herbstlich ist.

Bloggertramp im Wald

Bis kurz vor Karlstad nehmen mich zwei Exil-Iraker mit. Einer von ihnen, Sardut (so die Lautschreibweise), kann sehr gut Englisch. Witzigerweise ist er Sunnite, während der Fahrer Schiite ist. „Warum klappt das hier im Auto und in Eurem Land nicht?“, frage ich, doch Sardut winkt ab. Er hat in Bagdad im sunnitischen Dreieck gelebt und für die US-Armee als Übersetzer gearbeitet. „Drei Mal wäre ich fast erschossen worden, drei Mal von US-Soldaten“, klagt er – ist aber eigentlich ein prächtig gelaunter Typ, der in seine Erzählungen immer mal wieder einen Witz einstreut, oft auf Kosten Amerikas.

Frieden, so ist er sich sicher, wird es auf absehbare Zeit nicht geben – weshalb er mit seiner Familie vor fast zwei Jahren nach Europa ausgewandert ist. „Keine Aschenbecher in Volvos, was ist das für ein komisches Land“, scherzt er, während er an seiner Kippe zieht. Vom Irak in der Zeit nach Saddam berichtet er voller Zynismus und mit großer Klarsicht, sobald al-Maliki nicht mehr an der Macht ist, wird der Schiitenführer Muqtada as-Sadr zum wichtigen Mann im Hintergrund.

Dazu erzählt er noch äußerst einprägsame Anekdoten. „In Bagdad herrschte ab 23 Uhr immer eine Ausgangssperre, im Fernsehen und Radio gab es Durchsagen, dass jeder, der zu diesem Zeitpunkt noch auf der Straße ist, ohne Vorwarnung erschossen werde. An einem Abend kam ein Iraker um fünf vor elf mit seinem Auto an den Kontrollpunkt. Ein irakischer Soldat nahm seine Waffe, und erschoss ihn ohne Vorwarnung. Der US-Soldat, der mit ihm am Checkpoint stand, schrie ihn entsetzt an: ‚Warum hast Du das getan, wir haben doch noch nicht elf!‘. Daraufhin entgegnete der irakische Soldat: ‚Ich weiß wo er wohnt, das ist drei Kilometer von hier – er hätte das niemals mehr rechtzeitig dahin geschafft.‘ “ Sardut lacht kräftig, als er die Geschichte/urbane Legende erzählt. In den Irak will er nie mehr zurückkehren.

Waldeinsamkeit für Tramper

Tag 12: Kaffee hält ihn am Leben

Morgens um sieben in Schweden

Heute war ich nicht unterwegs, und dennoch war der Tag bislang anstrengend. Gerüchten zufolge könnte das an dem kleinen Kater liegen, den ich seit heute morgen mit mir herumschleppe und der mich dazu bringt, mich nur mit Hilfe von Kaffee künstlich am Leben zu halten. Was müssen diese Fähren aber auch zur unchristlichen Zeit um 6:30 Uhr anlegen!

Die gestrige Nacht auf dem Boot war amüsant wie unaufgeregt, meine Kabinengenossen stammten aus Kanada, China und dem Libanon. Bret aus Kanada studiert das nächste Semester im gleichen finnischen Ort wie einst ich, was mich kurzfristig an einen Identitätsdiebstahl á la „Der talentierte Mr. Ripley“ denken ließ.

Meine Zimmergenossen ließen es ruhig angehen: Als ich nach einer halben Stunde „Toni“ aus China fragte, ob ihm das Schiff gefalle, antwortete er höflich „Ja“ – um sich eine halbe Sekunde später umzudrehen und ins Bett zu legen. Deshalb verpasste er sowohl die altbekannte melancholische Tango-Stimmung, als auch schrecklichen Euro-Dance (der mich zu verfolgen scheint) in der Bord-Disko. Ich selbst verbrachte einen Gutteil des Abends in Debatten mit zwei finnischen Segel-Geschäftsmännern, Kristoffer und Anders.

Mobile Geisteszentrale
Was Frauen wollen
Portrait des Bloggers als junger Lebenskünstler
Erleuchtungsmaschine
There's a time in life to tango
Kristoffer und Anders sind begeistert von meiner Idee, ein Bild zu machen.
You said "dance or die" and I chose death

Auch in Stockholm ist der Herbst eingezogen, mit dicken Wolken und 12 Grad heute morgen – was mich aber nicht hinderte, meine Sonnenbrille aufzusetzen, um dem giftigen Tageslicht zu trotzen. Die Stadt selbst kenne ich, wie wahrscheinlich auch die meisten, die das hier lesen. Die Menschen hier sind oft blond und noch öfter schön, als wären sie aus einem H&M-Katalog herausgepurzelt. Irgendwie kommt mir hier immer das Wort „mondän“ in den Sinn, vielleicht, weil ein o und ein ä drin vorkommen, wie in vielen skandinavischen Wörtern.

Der Fotograf fluchte, die Kollegen hatten ihn vor Stockholm gewarnt: Immer wieder schmuggelten sich blonde Frauen in seine Stadtansichten
Bayerischer Kolonialismus
Tier vs. Mensch
Geburtsort des schwedischen Slapsticks
Er hielt es für gelungen, keine Frage - doch etwas in seinem Unterbewusstsein sagte dem schwedischen Nachwuchskünstler, dass er das Motiv schon einmal irgendwo gesehen hatte.
Teenager-Sightseeing

Morgen geht es weiter Richtung Oslo, dann wird hier auch wieder mehr stehen. Nach einer kleinen Ruhepause werde ich mir auch darüber Gedanken machen, wie es nächste Woche weitergeht.