Archiv der Kategorie: Warten

Tag 23: Gelassenheit

Die letzte Bloggertramp-Woche hat begonnen und der Wunsch, voranzukommen, ist einer friedvollen Gelassenheit gewichen. Ich habe keine Eile mehr, selbst wenn ich wie gestern fast zwei Stunden an einer Raststation kurz hinter Liverpool warten muss. Es gibt kein Ende der Straße, zumindest nicht bei dieser Reise.

Für die Wartezeit werde ich wieder einmal belohnt: Kevin, der mich von Birmingham bis auf die Höhe von Northampton mitnimmt, ist in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Während ich über den Rastplatz streune, ruft er mich zu sich. Mein Erstaunen, nun sogar schon von Fahrern angesprochen zu werden, könnte größer nicht sein. „Hey, ich brauche Unterhaltung, hier gibt’s nur Staus“, sagt Kevin lachend.

Wie sich herausstellt, ist er erst seit Oktober vergangenen Jahres zurück in England, nach 13 Jahren auf den griechischen Inseln. Dort, so erzählt er, war er Handwerker, Kellner, Wasserskilehrer – sein Grundstück mit zugehörigem Olivenhain hat er immer noch, im Herbst ist Ernte, in drei Wochen muss er eine Tonne pflücken, damit sich die Reise dorthin rentiert. „In Griechenland würde ich jetzt mit T-Shirt und kurzen Hosen umherlaufen“, erzählt er, während draußen heftige Schauer niedergehen. Seine Frau wurde krank, weshalb sie der Hitze im Süden entfliehen mussten – sich mit der Situation zu arrangieren ist kein Problem, dafür ist Kevin ein viel zu gut gelaunter Typ, seine Späße („Hey, wir stehen schon wieder, lass uns ein paar Discolichter aufstellen und eine Party machen“), Anekdoten und Streitereien mit seinem Navigationsgerät („this lady has her own ways“) lassen die Zeit flugs vergehen.

Am Rastplatz von Northampton trübt sich die Stimmung kurz etwas ein, es gießt wie aus Eimern und die Dunkelheit hat das Land bereits erreicht. Mein Belfaster Geschenkpapier, auf das ich mein Ziel geschrieben habe, durchweicht innerhalb weiniger Minuten. Dennoch habe ich – wieder einmal – Glück: Ein schwarzer BMW hält, in ihm sitzt ein schmächtiger Schwarzer, der mich locker heranwinkt. Edward, so sein Name, ist von meiner Mission beeindruckt: „Hey, wow, but how does I know you ain’t robbin‘ ma?“, fragt er in breitestem afrikanischen Dialekt.

Edward überführt den BMW nach London, um ihn dort für ein paar tausend Pfund zu verkaufen. Die Windschutzscheibe ist an der Seite angesplittert, die Abdeckung zu meinen Füßen herausgerissen, wodurch zahlreiche Kabel sichtbar werden. „They had tou do some things with da signals“, erzählt Edward, er und seine Freunde sammelten Unfallautos auf Schrottplätzen auf, um sie dann wieder herzurichten. Seine Theorie überzeugt mich nicht ganz, aber ich nicke glaubhaft und setze mein Halbwissen ein, um ein paar zustimmende Sätze zu seinen Theorien über Autos zu formulieren. Edward ist seit 2003 in London, davor war er drei Jahre in der Türkei. Großbritannien hat er seit seiner Ankunft noch nicht verlassen, der Grund ist offensichtlich. Eigentlich stammt der 30-Jährige aus Simbabwes Hauptstadt Harare. „Politics are same all over da world“, erklärt er mir auf die politische Situation angesprochen, „people try to hang on to power, it is human. But at one point, you godda think about da masses.“ Dann wenden wir uns wieder den Diskussionen über Audis und BMWs zu.

Am Ende erreichen wir Northolt. Ich bitte Edward, mich an einer U-Bahn-Station rauszulassen. „I will bring you to a side street where it es shorter“, sagt er, und weckt damit meine Alarminstinkte. Tatsächlich biegen wir von der Hauptstraße in eine Sackgasse ab. Edward lacht, „I ain’t gonna (Wort nicht verstanden) you, ya’know, how many miles have we done togetha?“, erklärt er mir, während ich in meinem Kopf bereits zig Szenarien und Fluchtmöglichkeiten durchspiele. Doch Edward raubt mich nicht aus, die U-Bahn-Station ist tatsächlich ums Eck und er lässt sich noch meine Karte geben, um mich auf Facebook zu kontaktieren. Ich erwische gerade noch die letzte U-Bahn ins Zentrum, weil ein netter Schaffner das Drehkreuz für mich öffnet, während der Zug gerade einfährt. 90 Minuten später ziehe ich in ein heruntergekommenes Hostel in Camden Town ein. Eigentlich wollte ich London erst am Dienstag erreichen…

Tag 14: Nervenzusammenbrüche und Naturwunder

Flaggenparty

Den größten Lacher des Tages erntete ich heute von Simon, dem Münchner mit dem Kajak, bei der Präsentation meines Regen-Outfits. Ich gebe zu, vielleicht sind die Flaggen (während des Trampens hinter meinem Kopf hervorragend) etwas übertrieben – sie sollen angeblich dabei helfen, mitgenommen zu werden – dennoch fühlte ich mich perfekt vorbereitet.

Simons Lacher blieb erst einmal für lange Zeit der einzige. Fiese Regenschauer von oben, mich ignorierende Skandinavier von vorne – von 10 bis 14 Uhr stand ich entweder sehnsüchtig den Daumen haltend an der Straße, lief die Autobahn auf der Suche nach einem besseren Platz entlang oder biss vor Wut in meinen Regen-Poncho. Auch wenn es nach 40 Minuten zu regnen aufhörte, trieb mir die Machtlosigkeit die Wuttränen in die Augen – zum ersten Mal wäre ich lieber zuhause als unterwegs gewesen. Nach einigen lauten Flüchen überlegte ich schon, mich zu Fuß auf den Weg in die nächste Stadt zu machen und dort den Bus nach Oslo zu nehmen.

Wunderschön, diese Leitplanken

Doch ich hatte Glück: Auf einem Parkplatz im Naturschutzgebiet einige Kilometer hinter Karlstad hielt ein deutsches Auto, dessen älterer Fahrer sich trotz voller Ladung breitschlagen ließ, mich vor dem Einsetzen des nächsten Schauers bis zu dem Punkt mitzunehmen, wo sich die Autobahn in Richtung Göteborg oder Oslo abzweigt. Roderich heißt der Engel, kommt aus dem Siegerland und ist Skandinavien-Liebhaber. Vor 40 Jahren arbeitete er das erste Mal in Finnland auf einem Bauernhof und kehrte seitdem immer wieder in die Gegend zurück. Doch der Bauernhof, auf dem er noch viele Jahre später häufig zu Gast war, ist inzwischen abgebrannt: Angezündet vom Besitzer, der sich noch am gleichen Abend erschoss. „Es gibt keine Stunde, in der ich nicht an Finnland denke“, sagt mir Roderich zum Abschied. Die Melancholie in seinen Augen würde einem echten Finnen alle Ehre machen.

Ins Licht

Ich gehe ein paar hundert Meter weiter, voller Hoffnung, nun doch noch den Weg nach Oslo zu meistern. Passend dazu wird die Landschaft bereits felsiger, die Regenfälle der letzten Stunden finden nun in kleinen Felswasserfällen den Weg aus den Wäldern. Und wirklich habe ich unglaubliches Glück: Johan aus Karlstad ist gerade auf dem Weg zur Arbeit auf einer norwegischen Offshore-Bohrinsel. Er nimmt mich fast bis nach Oslo mit und erzählt mir viel über Schweden und Norwegen, zum Beispiel, dass Autos in Norwegen für Fußgänger immer stoppen müssen, sobald diese ihren Fuß auf die Straße setzen.

Keine Zeit für den Sprung ins kalte Wasser
Wetterfest
Nordseehorizonte

Während der kurzweiligen Fahrt kommen wir an Landschaften vorbei, die ich weder mit meiner kleinen Handykamera adäquat festhalten, noch beschreiben kann. Seen, Weiden, grüne Wälder und ein Wetter, dass sich minütlich zu ändern scheint, sobald sich die hohen Wolkentürme dunkel färben. Es ist nur ein kleiner Eindruck, den ich von Norwegen erhalte, doch es ist ein mächtiger. Da kann Oslo, die Stadt an der Nordsee, fast nicht mithalten. Was sind schon menschliche Bauwerke im Vergleich zu den Wundern, die Wind, Sonne und Regen in die Landschaften über Jahrmillionen in die Landschaften zeichnen.

Stadt der roten Ampeln

Morgen mache ich mich auf den Weg in eine weitere Wunderlandschaft: Um 11 Uhr fliege ich nach Schottland.

Tag 9: Randbegegnungen

Im Schatten des Bloggertramps

Auch der späte Tramper ist nicht vor kuriosen Begegnungen gefeit: Nachdem ich den Tag lieber in der Stadt von Riga als auf der Straße verbracht hatte, treffe ich erst gegen 16 Uhr an der Autobahn ein – mein Gastgeber hatte mich freundlicherweise dorthin gefahren.

Mein erster Fahrer hält nach zehn Minuten und erinnert ein bisschen an Hans Maulwurf von den Simpsons: Ein älterer Lette mit rundem Gesicht und Brille, dazu ein kleines Auto, mit dem er auf keinen Fall zu viel riskieren möchte.  Auf „Richtung Estland“ können wir uns trotz Sprachbarriere einigen. Die nächsten 10 Minuten zuckeln wir klappernd die Straße (die Autobahn Richtung Lettland ist meist eine zweispurige Schnellstraße mit kleiner Ausweichspur) entlang, dann ist meine Fahrt schon wieder zu Ende: Er muss an der nächsten Kreuzung nach rechts Richtung Tartu, bedeutet er mir, ich stehe daraufhin fünf Kilometer hinter Riga auf der Straße, meines guten Startplatzes beraubt.

Autobahn-Sightseeing

Nachdem mich einige Zeit niemand mitnimmt, beschließe ich, auf entlang der Straße Wanderschaft zu gehen. Immerhin ist der Autolärm erträglich, Waldlandschaft und Nachmittagssonne entschädigen mich dafür, dass ich einige Leitplanken überwinden muss, als ich an ein Autobahnkreuz komme. Zudem erlebe ich eine Premiere: Erstmals in meinem Leben laufe ich in einen Rasthof ein, wo ich mir Proviant versorge, falls ich die Nacht im Freien verbringen muss.

Wo Lettlands Autofahrer rasten

Wenig später folgt Premiere Nr. 2: Eine Frau, die alleine unterwegs ist, hat mich mitgenommen. Auch sie – 42, die Gesichtszüge erinnern ein bisschen an eine Büroversion von Brigitte Nielsen – fährt nur wenige Kilometer, und doch wird es kurios. Meine Angabe, Deutscher zu sein, erfreut sie außerordentlich: „Ich habe zwei deutsche Schäferhunde“, sagt sie in breitem Englisch mit Ost-Akzent, „sie heißen Giorgio und Armani.“ Einer von beiden hat heute auch Geburtstag, weshalb wir die nächste Ausfahrt abbiegen und vor einem Friedhofsblumenladen halten. Mit einer überdimensionalen Geburtstagslilie kommt meine Fahrerin strahlend heraus. Kurz darauf werde ich bereits in die höhere Mystik eingeweiht. „Ich bin Christin, Buddhistin, glaube an den Sonnengott und bin bereits mit meinem Astralkörper gereist“, erklärt sie mir. Auch Nietzsche und Engels hätten an außerkörperliche Materie geglaubt.

Wenige Kilometer später stehe ich am Straßenrand, während die Sonne immer näher an den Horizont wandert, habe aber Glück, als mich ein Pärchen zur nächsten Tankstelle mitnimmt, wo ich Arkadi, einen estnischen Rapsölverkäufer, anspreche. Er nimmt mich mit und noch während der letzten Sonnenstrahlen taucht links die Ostsee neben der Autobahn auf. Am Ende lande ich in Pärnu, einem estnischen Ostseee-Kurort. Obwohl Saison ist und die Hotelpreise vergleichsweise saftig sind, ist  in der „Sommerhauptstadt Estlands“ (Arkadi) kaum etwas los. Auch das Badevergnügen fällt ins Wasser: Als ich am Morgen aufwache, regnet es bereits.

Brummende Sommerhauptstadt

Anmerkung: An dieser Stelle bitte ich Euch schon einmal um Vorschläge, von wo es ab Oslo weitergehen soll. Ich plane, dort nächsten Montag oder Dienstag weiterzufliegen. Bitte nur innerhalb Europas, Orte, an denen ich noch nicht war und keine absurden oder überteuerten Routen. Vielen Dank an Euch, auch für die  vielen Kommentare und Mails!

Tag 8: Reife und Ruhe

Tramper ohne Blog, dafür mit Schild (Alle Rechte vorbehalten)

Der Tag heute hatte viele Auf und Abs, doch das war nur der Rahmen dafür, dass die Reise nun eine etwas andere Bahn nimmt (im Bild übrigens Jan aus Tschechien, den ich an der Straße getroffen habe. Er ist auf dem Weg nach Finnland).

Ich bin inzwischen in Riga angelangt, und wenn man ein Ziel erreicht, verlieren die Mühen, um dorthin zu kommen, ziemlich an Bedeutung. An zwei Stellen musste ich heute lange warten: Zuerst am Ortsausgang von Suwalki, von wo mich nach anderthalb Stunden schließlich ein lettischer Mercedes-Fahrer bis ins litauische Kaunas mitnahm (und mich mitten auf dem Autobahnkreuz absetzte).

Mann mit Bart und Regenwolke über dem Kopf (Alle Rechte vorbehalten)

Dort kam es dann wiederum über 90 Minuten kein Fortkommen, da nur kurzhaarige Männer mit ihren blonden Frauen und/oder älteren Schwiegermüttern unterwegs waren. Bei einer Rest-Entfernung von 260 Kilometern bis Riga (und wir reden nicht von deutschen Autobahnkilometern) erfüllte mich ein bisschen Panik, bzw. eher Machtlosigkeit, weil als Alternative immer noch das Autobahn-Motel als Übernachtungsmöglichkeit hätte dienen können. Schließlich aber nahm mich um halb sechs abends (!) Dainis, ein lettischer Trucker, mit nach Bauska, von wo ich kurz vor Sonnenuntergang innerhalb von zehn Minuten wegkam, weil Andris (Psychologe im Marketing) mich aufgabelte.

Mini-Stopp in Bauska (CC,Attr-Share-Alike)

Dies die Kurzfassung meiner heutigen Route, doch es gibt noch eine andere Erkenntnis: Die wuchs bereits, als ich mich auf den Weg zum Ortsende von Sulwaki machte und dort wartete. Denn die Wege zur und entlang der Straße, die durch die Natur führen, sind mir bisher die schönsten Momente, die ich alleine verbringe. Jetzt, nach einer Woche und einer ziemlich gewaltigen Strecke, will ich von meiner Reise mehr als Kilometer mitnehmen und auch den Stresslevel etwas senken. Man könnte sagen, die nächste Bloggertramp-Phase beginnt.

Dass sie hier im Baltikum startet, ist kein Wunder: Von hier kommen nicht nur einige meiner Freunde, es ist auch der Ort, wo die Landschaft langsam skandinavischer, ruhiger, in sich gekehrter wird. Es sind oft keine Dörfer, sondern kleine Siedlungen oder einzelne Häuser, die dort in der Landschaft stehen. Manchmal spielt eine Mutter davor mit ihrem Kind, ein andernmal steht eine Kuh vorm Haus. Die Wiesen Litauens sind sowieso voller Kühe, im Laufe der Fahrt sind wir bestimmt an 20 Bauern vorbeigekommen, die gerade mit dem Melken beschäftigt waren. Ab und an stand auch ein Pferd regungslos auf der Weide, das Einzelgängertum dieser Tiere konnte mir aber niemand erklären (ebensowenig wie den Grund, weshalb Dainies‘ Navigationssystem Kuhlaute ausstößt).

Von oben herab (CC, Att-Share-Alike)

In diese Atmosphäre werde ich in den nächsten Tagen tiefer eintauchen. Morgen nachmittag trampe ich zwar Richtung Tallinn los, doch werde wahrscheinlich irgendwo in der Mitte in der Nähe der Ostsee Station machen, vielleicht sogar zelten. Das bedeutet, dass der ein oder andere Blogpost mal etwas dauern kann, aber das könnt Ihr ja verkraften.

Am Ende möchte ich noch ein paar Worte über meinen Couchsurfing-Gastgeber Marts verlieren. Marts baut zur Zeit seine Wohnung um, in der er mit seiner Freundin und drei Kindern am Rande Rigas lebt. Das hat ihn ebensowenig wie die Auswirkung der schwierigen Wirtschaftslage Lettlands nicht daran gehindert, seit Juni 15 Gäste zu empfangen.

Wir sind beide 31, doch komme ich mir mit meinem Sturz-in-den-Tag-Projekt Bloggertramp im Vergleich beinahe wie ein Teenager vor. Marts‘  Ruhe, Verortung werde ich auf der Straße nicht finden – aber Menschen zu treffen, die sie ausstrahlen, gehört zu den vielen Geschenken, die ich unterwegs schon erhalten habe.

Sonntagabend statt Tatort (AlleRechte vorbehalten)

Am Ende noch eine kurze Info: Ben war dankenswerterweise so nett, und hat eine Google Map zu meiner Route erstellt. Ab morgen auch hier in der Navi zu finden.

Tag 2: Zähe Fluchten

Was zuvor passierte... (Foto by me, CC, Share-Alike)

Ich sitze am Zimmerfenster und strecke meine Beine auf die Balustrade des kleinen Holzbalkons. Mein Blick geht nach Westen, dorthin, wo ich heute herkam und gerade die letzten Strahlen des Sonnenlichts in ein tiefdunkles Schwarz getaucht werden. Ein weiterer Tag, eine weitere Abfolge von kleinen Welten und Momenten, die ich bald vergessen habe, wenn ich sie nicht aufschreibe.

Unbezahlbar blöde Momente wie der Blick der Kassiererin im Spar von Ljubljana heute morgen, als sie sah, dass ich meine Äpfel nicht gewogen hatte und sie aus dem Supermarkt hinaus und zur Vordertür wieder rein musste, um das für mich nachzuholen, während hinter mir acht Menschen auf mich und mein blödes Obst warteten. Aber das nur am Rande. Beginnen wir lieber von vorne.

Ich will hier drauf! (Foto by me, CC, Share-Alike)

Nachdem die Reise von München nach Ljublajana praktisch an mir vorbeigeflogen war, ahne ich, dass es nicht so weitergehen kann. Und doch packt mich an der Auffahrt Richtung Maribor schon nach zehn Minuten die Ungeduld. Ob es an der Handy-am-Ohr-Quote liegt, die bei slowenischen Autofahrern gefühlt bei 50 Prozent liegt, dass ich nicht beachtet werde? Als ich gerade selber etwas in mein Schlautelefon tippen möchte, hält auch schon ein Mann mit seinem Sohn an. Auf der Fahrt stellt sich heraus, dass er Boris heißt (schon wieder ein Boris!) und deutsch spricht, weil er den Balkan-Vertrieb für deutsche Textilfirmen macht. Von ihm erfahre ich interessante Dinge über die slowenische Konjunktur (mies) und Bauwirtschaft (pleite) und sein Land (wunderbar, „eine Mischung aus Schweiz, Österreich und Italien“ preist er es an, und während wir durch die Waldtäler und an Hopfengärten vorbei fahren, kann ich nur zustimmen). Leider muss ich schon nach ca. 40 Kilometern aussteigen, weil er die Autobahn verlässt.

Nur fünf Minuten später hält ein lockerer Typ, windschnittige Sonnenbrille, Dreitagesbart, karierte Hose und natürlich das Handy am Ohr. Das legt er aber gleich weg und wir reden ein bisschen über die KuK-Monarchie, vor allem aber über Sport. „Kanada hat mehr Eishockeystadien als Slowenien Spieler hat – und trotzdem spielen beide bei der WM“, sagt er, lobt die slowenische und deutsche Fußball-Nationalmannschaft, disst Ballack („He’s a pig, to me“) und ärgert sich darüber, dass Slowenien so gute Basketball-Spieler hat, die aber offenbar keinen Bock haben. Er redet schnell und fuchtelt mit den Händen, zwischendurch zeigt er auf eine Internet-Adresse, die in Riesen-Lettern auf einer Hausfassade neben der Autobahn steht: „Mein Webshop“, sagt er stolz, „das Haus gehört einem Kumpel.“ Neben dem Webshop betreibt er übrigens auch noch eine Schweißerfirma.

Landleben im Schatten von Berg und Autobahn (by me, CC, Share-Alike)

Doch auch mein sportlicher Fahrer bringt mich nicht bis nach Maribor, weshalb ich mich am Kreisverkehr neben einer Weide wiederfinde. Im Abfall der Shell-Tankstelle ein paar Meter weiter finde ich Pappen, um mein Schild zu basteln. Nach zwanzig Minuten hält ein Taxifahrer an – und bringt mich doch glatt kostenlos nach Maribor auf eine Zubringerstraße zur A5. Ich bin begeistert von Slowenien!

Geduldsproben (Foto by me, alle Rechte vorbehalten)

90 Minuten später hat die Begeisterung spürbar nachgelassen. Ich stehe immer noch an diesem verdammten Zubringer, und obwohl die Autos zu Hunderten vorbeirasen, scheint niemand auf die A5 zu wollen. Ich stärke mich zwischendurch mit einer slowenischen Spezialität von der Tankstelle (Marshmellows mit Schokoglasur und Waffelboden) und grüble nach. Das ZEN des Trampens, das Gefühl, dass Zeit keine Rolle spielen darf, zwischendurch spüre ich es. Meist jedoch schreibe ich mein Schild um (A5 statt der Stadt, die auf dem Weg liegt), probiere es ohne Schild, mache komische Hüpfgesten, um Aufmerksamkeit zu erhaschen und laufe schließlich durch das Gewerbegebiet – schon wie in Salzburg Gewerbegebiet, das scheinen Tramperfallen zu sein – zur nächsten Auffahrt. Nach einer schieren Odyssee sitze ich um 16:30 Uhr, vier Stunden nach meiner Ankunft, im nächsten Auto und bin auf dem Weg nach Ungarn. Im Vorbeifahren sehe ich noch, dass Maribor ein schönes Städtchen am Fluss zu sein scheint. Die Zubringer fand ich allerdings persönlich nicht so ansprechend.

Natürlich schaffe ich es nicht komplett zur Grenze, dafür sorgt dann Zalko, ein Kroate, der ebenfalls deutsch spricht (er arbeitet als Zimmermann in Österreich), der tatsächlich eine Ausfahrt weiter fährt, um mich an einem Rasthof abzusetzen. Die ungarische Grenze ist in Sichtweite, doch irgendwie sind nur italienische Familien mit vollen Autos, ein paar Reisebusse und Trucker unterwegs. Nach etwa einer Stunde findet sich tatsächlich ein Fahrer – ein LKW-Führer aus Russland nimmt mich mit.

Die Grenze in Sichtweite (by me, alle Rechte vorbehalten)

Aleks – so heißt er – und ich können uns nicht wirklich verständigen, wir verstehen uns aber auch ohne Worte. Während in seiner Anlage ein Techno-Remix von Modern Talkings „Brother Louie“ läuft und Alekx rhythmisch mit seinen Händen aufs Lenkrad schlägt, rollen wir an den Weiten der ungarischen Mais- und Sonnenblumenfelder vorbei. Ich staune, bin einfach nur dankbar – und schäme mich ein bisschen: Vor der Abfahrt hatte ich tatsächlich das Nummernschild fotografiert, falls man mich einmal verschnürt in irgendeinem russischen Wald finden sollte (und meine SIM-Karte nicht verrotten sollte).

Brother Aleks (by me, Alle Rechte vorbehalten)

Aleks muss nach Budapest (was sich unter den Planen des LKWs befindet, finde ich nicht heraus), und als am Horizont die Quellwolken wie Pilze in den Abendhimmel drängen, ist unsere Fahrt bereits zu Ende. Der Plattensee schimmert in der Ferne, ich winke in Aleks‘ Rückspiegel und klettere dann vom Rastplatz auf eine Landstraßenbrücke und marschiere los. Ich bin nur wenige Kilometer vom Balaton entfernt, und das noch vor Sonnenuntergang.

Paradies in Sichtweite (Foto von mir, CC, Share-Alike)

Wie es weitergeht schreibe ich morgen früh auf, jetzt gehe ich erst einmal in guter journalistischer Tradition eine Bar suchen.