Archiv für den Monat: September 2010

Tag 19: Dämmerung

Morgensonne auf der Isle of Skye

Zwölf Stunden auf den Straßen Schottlands bedeuten den Abschied von diesem Land. Fünf Tage habe ich hier verbracht, die mir auf beinahe träumerische Art und Weise wie ein ganzes Lebensjahr vorkommen – der umgekehrte Rip Van Winkle, sozusagen. Ein letzter Tag, der mit Portree in der Morgensonne begann und mit Stranraer im sich auflösendem Abendlicht endete.

Portree bei Nacht und am Morgen

Dazwischen verläuft mein Weg schon beinahe beunruhigend gut: Martin, ein schwäbischer Tourist, nimmt mich mit bis zum Eilean Donan, dem Highlanderschloss mit, wo mich Carlos und George aufgabeln und weiter Richtung Süden bringen.

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Jane und Paul, ein ehemaliger Stahlarbeiter, sowie Craig, ein greiser ehemaliger Kirchenschul-Lehrer mit Hörgerät, bieten mir nicht nur bereitwillig eine Mitfahrgelegenheit, sondern erklären mir auch die Landschaft, die sich mal schottisch grün, mal beinahe alpin um uns gruppiert und mir im Sonnenlicht einen Abschied bereitet, den eigentlich nur Könige und Naturgötter verdient hätten.

Britische Alpen
Schottische Mittagspause in Fort William
Blick zurück nach vorn

Drei Schotten, die gerade aus den Begen kommen, fahren mich bis in einen Vorort von Glasgow, wo ich für einige Stationen den Zug nehme, um auf die richtige Straße nach Stanraer zu kommen. Als ich in Ayr aussteige, ist es bereits 18 Uhr – und eine Stunde später erreiche ich nach langem Fußmarsch erst wieder die Schnellstraße, 50 Meilen bis Stanraer und eine Stunde bis Sonnenuntergang.

Die untergehende Sonne ist kein gutes Zeichen für Anhalter, da Nachttrampen für Fahrer wie Tramper nicht die angenehmste Sache ist. Eine ähnliche Situation hatte ich bereits auf dem Weg nach Riga, hatte aber schnell eine Mitfahrgelegenheit gefunden. Dieses Mal scheint es anders: Die Autofahrer blicken abweisend, zudem stehe ich an einer Stelle, wo sie mir mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommen. Doch gerade, als eine Wolke sich vor die Sonne schiebt und so nochmals alles dunkler wird, hält ein Kleinwagen. In ihm sitzt ein dicker, glatzköpfiger Mann mit Schnauzbart, den die meisten rein äußerlich wahrscheinlich in die Schublade „Metzger-Typ“ stecken würden. Als ich meinen Rucksack auf den Rücksitz schmeiße, sehe ich eine blaue Plane. Für einen kurzen Moment weicht die Freude dem Misstrauen und mir kommt der Gedanke, dass es sich um einen Serienkiller handeln könnte, der bereits alles bestens vorbereitet hat.

Natürlich ist alles ganz anders:Tom, so heißt mein Fahrer, ist nicht nur waschechter Schotte, sondern auch auf schottische Weise bodenständig. Er ist von seiner Frau geschieden, hat aber das Sorgerecht für die beiden Kinder, weshalb er gerade auf dem Weg zum Luxusgolfplatz in Turnberry ist, um dort Golfbälle zu suchen, zu waschen und wieder zu verkaufen. „Ich würde niemals Geld vom Staat annehmen, es geht auch so“, sagt er bestimmt. Der Staat, so argumentiert er, solle arbeitsscheuen Menschen (zu denen er seine Ex-Frau zählt) nicht noch Geld geben;Drogensüchtige bräuchten keine Therapie,  sondern sollten einfach irgendwo zum Sterben gebracht werden.

Wer hinter all dem einen klassisch konservativen Geist vermutet, liegt falsch: David Cameron verachtet Tom genauso wie Maggie Thatcher („die Schotten hätten niemals eine Frau zur Premierministerin wählen dürfen“). Wir unterhalten uns über Fußball und Tom beklagt sich über die hohen Eintrittspreise: „25 Pfund kostet ein Ticket“, beschwert er sich, „dafür kann ich eine ganze Woche meine Familie ernähren.“ Er macht eine kurze Pause: „Oder einen Abend lang trinken.“ Auch heute Abend wird er nach der Arbeit ein paar Gläser kippen, seine Frau kümmert heute um die Söhne. Zum Abschied wünscht er mir viel Spaß in Irland: „Die Iren, die Schotten, die Waliser sind gut“, sagt er, „die Engländer…“ (er macht mit seinem Mund ein Pfurzgeräusch). „Ich mag die Queen, Gott segne sie, aber die Engländer…“

Tom lässt mich in Turnberry raus, das nicht nur einen Golfplatz hat, sondern auch Ferienwohnungen und Hotelzimmer für reiche Amerikaner und Engländer („500 Pfund für zwei Nächte, dafür könnte ein Schotte viel trinken“, hat er mir erklärt). Die Sonne ist nun blutrot gefärbt und verschwimmt im Nebel. Auf dem Meer liegt still eine Vulkaninsel, auf der ein einziges Haus stehen soll – das von Paul McCartney, der die Insel gekauft hat. Obwohl es noch 35 Meilen bis Stranraer sind, macht mir der Gedanke, hier irgendwo in den Dünen zu schlafen, keine Angst – höchstens die Lungenentzündung, die mir aufgrund des fehlenden Zeltes drohen würde.

Wo Paule wohnt

Am Ende lande ich doch noch in Stranraer – ein schottisches Ehepaar nimmt mich ein paar Meilen mit und gibt mir sogar seine Telefonnummer, falls ich es nicht weiterschaffe; ein schottischer Trucker liest mich auf dem Weg zum Hafen auf. Während wir die steilen Küstenwege entlangfahren, legt sich die Nacht über das Land. Auch wenn ich erst am Freitagmorgen die Fähre nach Belfast besteige, sind dies die Momente des stillen Abschieds.

Tag 18: Scheitelpunkt

Richtung Süden

Heute ist ein besonderer Tag für mich, denn mit meinem Weg auf die schottischen Inseln erreiche ich den Umkehrpunkt meiner Reise; danach geht es wieder nach Süden, und schließlich zurück an den Anfang und das Ende der Straße.

In Ullapool, einem kleinen Fischerdörfchen, nehme ich die Fähre Richtung Isle of Lewis. Gestern Abend habe ich mit Jim einen Australier kennengelernt, der hier auf der Suche nach seinen Wurzeln aus dem 16. Jahrhundert ist. Jenseits  der Pubs herrschte Stille in diesem kleinen Ort, einzig der Riss in meiner Jeans war zu hören, als ich von der Hafenmauer sprang (der Preis der schottischen Fettpommes?).

Auch die Reise mit der Fähre verläuft friedlich, das Meer ist still und erspart mir und meinem Magen größere Unannehmlichkeiten. Die Highlands, diese magische Landschaft, lassen wir hinter uns auf unserem wolkenbehangenen Weg weiter nach Westen. Während der Fahrt begleitet uns ein Stück lang eine Gruppe von Delfinen – der Kapitän verkündet es sogar durch den Bordlautsprecher, worauf ich wie alle Touristen schnell an Deck renne, mit der Grazie und Schnelligkeit ihrer Sprünge durch das Wasser aber restlos überfordert bin. Ich beschließe, die digitale Erinnerung zu vergessen und beobachte lieber die Tiere, die nach einigen Minuten in die Weiten des Atlantiks verschwinden.

Auf der Isle of Lewis angekommen, entscheide ich, nach Tarpert im Süden zu trampen, wo eine Fähre auf die Isle of Skye geht, mein Ziel für heute. Es ist ein ambitionierter Plan, immerhin sind es 40 Meilen und nur drei Stunden bis zur letzten Fähre. Ich mache mich auf den Weg zur richtigen Abzweigung und komme an zahlreichen Schulkindern vorbei, die gerade ihr Mittagessen (Fish & Chips) zu sich nehmen oder sich auf dem Schulhof prügeln. Die Isolation, hat mir gestern eine School Nurse erzählt, treibt viele Schotten zum Alkohol, Erwachsene akzeptieren oft auch bei Jugendlichen diesen Weg, um mit allem fertig zu werden. Wie ist es, hier aufzuwachsen, mindestens drei Stunden vom Festland und noch länger von einer größeren Stadt wie Glasgow entfernt, Wind und Regen als ständigen Begleiter?

Wenig sitze ich im Auto von Judith, einer Krankenschwester, die gerade auf dem Weg zu einem abgelegenen Strand ist, um dort zu wandern und ein Buch zu lesen. Sie beschließt, mich nach Tarpert zu fahren, und erzählt mir währenddessen ihre Geschichte: Sie stammt eigentlich aus dem Süden Englands, 14 Autostunden entfernt. Seit sechs Jahren lebt sie auf der Insel, wo sie in verschiedenen Krankenhäusern im Einsatz ist. Heute hat sie frei – das Krankenhaus im Nordwesten hatte nur zwei Patienten. „Du trampst hier nur durch?“, fragt sie erstaunt, „das ist wie, wenn ich in die Schweiz fliegen würde, um den Flughafen zu sehen.“

Tatsächlich schäme ich mich ein bisschen, diese Insel nur zu durchqueren. Es ist eine raue Vulkanlandschaft, felsige, mit Moss bewachsene Berge, die steil nach oben ragen. Ich versuche gar nicht erst, sie in Bildern festzuhalten. In Schottland sieht nur das Auge. Judith erzählt mir von den Wanderungen, die man hier unternehmen kann und auf denen man einen ganzen Tag lang niemandem begegnen, um am Ende an verlassenen Stränden voller Schönheit herauszukommen. Gleichzeitig ist die Insel voller christlicher Religiosität, alle möglichen Freikirchen predigen hier vom Untergang und der Hölle. „Katholiken existieren hier aber nicht“, sagt sie lachend, „Katholiken und Homosexuelle gibt es in der Welt der Menschen hier nicht“

Es ist wieder eines dieser intensiven Gespräche, die sich schnell um die grundsätzlichen Dinge des Lebens drehen. Wenig später, als die Fähre den Hafen verlässt und ich an Deck zurück in die wolkenumwobenen Berge schaue, erinnere ich mich an meine bisherigen Begegnungen dieser reise. Allen Menschen gemein ist, dass unsere Wege sich nur kurz kreuzen, bevor sich die Autotür hinter mir schließe und sie zurücklasse. Diese Reise kennt nur den Weg, nicht den Aufenthalt – und doch wird sie am Ende einen Sinn, ein Gemälde für mich ergeben. Ich steige die Treppen hinab ins Innere des Schiffes, wo die Menschen sitzen und gleichgültig ihrem Leben nachgehen. Sie nehmen mich nicht wahr, und für ein paar Momente fühle ich mich wie ein Geist, der geräuschlos und unsichtbar unter Deck wandelt, bevor er in einer anderen Welt verschwindet.

Kamerascheuer Delfin