Auch wenn Skandinavien für mich gerade erst tramptechnisch beginnt, ist es ja eigentlich bereits die Zielgerade meiner geplanten Tour (eine lange Zielgerade, wie ich befürchte). Das passt auch zeitlich, denn Samstag ist hier Halbzeit. Nun stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll: Als ich mit den Planungen vor einiger Zeit begonnen habe, hatte ich auf eine Fährverbindung von Norwegen zu den britischen Inseln gehofft. Diese gibt es nicht – weshalb ich nun einfach einmal ein paar Alternativen zur Wahl stelle.
1. Bis Oslo, danach mit dem Flieger nach Irland oder Schottland. Ist mir sehr sympathisch, da ich die britischen Inseln sehr gerne mitnehmen würde, trotz des Regens und der widrigen Umstände.
2. Bis Oslo, danach weiter mit dem Flieger Richtung Süden. Auch wenn das Wetter verlockend ist: Spanien und Italien sind nicht schön zu betrampen, es könnten zwei Wochen mit ziemlichem Leerlauf werden.
3. Über Norwegen runter nach Kopenhagen, von da weiter mit dem Flieger. Prinzipiell kein Problem, je nachdem, wann ich in Kopenhagen ankomme, könnte es aber von meinem Ziel dort knapp werden.
4. Über Norwegen wieder Richtung Süden, durch Deutschland. Zeitaufwändig, schätze ich.
5. Über Kopenhagen zu den britischen Inseln, aber auf dem Landweg (bzw. per Fähre in Frankreich). Wäre wahrscheinlich sehr aufwändig, da mein Weg von Süden nach Norden führt und ich ne Schleife für den Rückweg einplanen muss.
Ihr könnt in diesem Twtpoll bis morgen Abend abstimmen.Ich habe selbst noch keine Entscheidung getroffen und hoffe auch auf kluge Kommentare – vielleicht fällt ja jemandem eine machbare Route ein, bei der ich nicht nach zwei Wochen in Island rumsitze.
Heute war ich nicht unterwegs, und dennoch war der Tag bislang anstrengend. Gerüchten zufolge könnte das an dem kleinen Kater liegen, den ich seit heute morgen mit mir herumschleppe und der mich dazu bringt, mich nur mit Hilfe von Kaffee künstlich am Leben zu halten. Was müssen diese Fähren aber auch zur unchristlichen Zeit um 6:30 Uhr anlegen!
Die gestrige Nacht auf dem Boot war amüsant wie unaufgeregt, meine Kabinengenossen stammten aus Kanada, China und dem Libanon. Bret aus Kanada studiert das nächste Semester im gleichen finnischen Ort wie einst ich, was mich kurzfristig an einen Identitätsdiebstahl á la „Der talentierte Mr. Ripley“ denken ließ.
Meine Zimmergenossen ließen es ruhig angehen: Als ich nach einer halben Stunde „Toni“ aus China fragte, ob ihm das Schiff gefalle, antwortete er höflich „Ja“ – um sich eine halbe Sekunde später umzudrehen und ins Bett zu legen. Deshalb verpasste er sowohl die altbekannte melancholische Tango-Stimmung, als auch schrecklichen Euro-Dance (der mich zu verfolgen scheint) in der Bord-Disko. Ich selbst verbrachte einen Gutteil des Abends in Debatten mit zwei finnischen Segel-Geschäftsmännern, Kristoffer und Anders.
Mobile GeisteszentraleWas Frauen wollenPortrait des Bloggers als junger LebenskünstlerErleuchtungsmaschineThere's a time in life to tangoKristoffer und Anders sind begeistert von meiner Idee, ein Bild zu machen.You said "dance or die" and I chose death
Auch in Stockholm ist der Herbst eingezogen, mit dicken Wolken und 12 Grad heute morgen – was mich aber nicht hinderte, meine Sonnenbrille aufzusetzen, um dem giftigen Tageslicht zu trotzen. Die Stadt selbst kenne ich, wie wahrscheinlich auch die meisten, die das hier lesen. Die Menschen hier sind oft blond und noch öfter schön, als wären sie aus einem H&M-Katalog herausgepurzelt. Irgendwie kommt mir hier immer das Wort „mondän“ in den Sinn, vielleicht, weil ein o und ein ä drin vorkommen, wie in vielen skandinavischen Wörtern.
Der Fotograf fluchte, die Kollegen hatten ihn vor Stockholm gewarnt: Immer wieder schmuggelten sich blonde Frauen in seine StadtansichtenBayerischer KolonialismusTier vs. MenschGeburtsort des schwedischen SlapsticksEr hielt es für gelungen, keine Frage - doch etwas in seinem Unterbewusstsein sagte dem schwedischen Nachwuchskünstler, dass er das Motiv schon einmal irgendwo gesehen hatte.Teenager-Sightseeing
Morgen geht es weiter Richtung Oslo, dann wird hier auch wieder mehr stehen. Nach einer kleinen Ruhepause werde ich mir auch darüber Gedanken machen, wie es nächste Woche weitergeht.
Falls ich geglaubt hatte, mit der Fähre nach Helsinki würde mein Weg in sicherere Gefilde führen, hatte ich mich getäuscht. Es sollte einer der Abende werden, für den das 37-Signals-Motto „Embrace constraints“ wie gemacht ist.
Doch zuerst einmal will ich von der Melancholie und der Euphorie berichten, die meine Reise mit der Fähre in mir auslösten. Die Melancholie setzte schon beim Einsteigen ein; Während meiner Auslandssemester in Finnland vor fast acht Jahren gehörten die Reisen mit dem Schiff zu den Party-Höhepunkten, besonders die Nachtroute Turku-Stockholm (die ich später nehme) war berühmt berüchtigt. Der Alkohol ist auf offener See zollfrei und damit vergleichsweise preiswert, dazu gibt es noch Restaurants, Tanzcafès und eine Borddisko. Alleine der Anblick der Finnen, die sich gleich nach der Ankunft an Bord an die Spielautomaten zum Zocken stellen, löste eine ganze Erinnerungskette aus, ebenso die melancholischen Tango-Bands, die eine traurige finnische Version von „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ zum Besten gibt.
Wer braucht da Las Vegas?Tango der Erleuchtung
Es waren diese Klänge, bei denen ich das erste Mal die finnische Melancholie so richtig begriff. Als ich an Deck stand und hinaus blickte, während Tallinn langsam hinter uns verschwand, war es mir, als hätte das Meer meine Jugend verschlungen, als wären die acht Jahre seit damals zwischendurch mit einer Welle weit hinaus gespült worden. Das Meer tröstet nicht, denn es kennt kein Alter, es ist immer im Jetzt, während wir Menschen langsam die Sandkörner durch unsere Lebensuhr rinnen sehen, ohne Macht, sie einfach umzudrehen.
Das ist auch Dein Zuhause
Doch das Meer mit seiner stetigen Gegenwärtigkeit gibt einem auch wie kein anderes Element das Gefühl, lebendig zu sein. So ist der zweite Teil der Fahrt nur mit kompletter Glücksseligkeit zu beschreiben. Die Sonne, wie sie durch die Regenwolken am Horizont bricht, der Wind im Gesicht und das erste Mal das Gefühl zu wissen, wie sich Weltreisende fühlen, deren nächstes Ziel nicht ihr Zuhause, sondern nur eine weitere Etappe ist – und die den Weg hinter sich sehen und schier nicht begreifen können, wie weit sie ihre Wanderschaft schon geführt hat. Kurz vor Helsinki strecke ich meine Arme nach in einem „I am the King of the World“-Gefühl nach oben, gebe einen Freudenjauchzer von mir und führe vor ein paar vereinzelten Passagieren einen kleinen Tanz im Wind auf.
Das Meer in mir
So hätte dieser Tag gerne enden können, doch es gehört wohl zu den Charakteristika dieser Reise, dass alles anders weitergeht, als man denkt. In diesem Fall eröffnet sich schon kurz nach der Ankunft ein Problem: Das Hostel, das ich angepeilt hatte (Couchsurfing-Gastgeber hatten sich keine gefunden) ist ausgebucht. „Die anderen Hostels sind auch voll“, gibt der Student an der Rezeption zu verstehen, womit für mich ab 21 Uhr eine kleine Odyssee beginnt: Ich klappere trotzdem noch einige Hostels ab, in der vagen Hoffnung, es sei noch ein Platz freigeworden. Die Finnen sind wie immer freundlich, können mir aber nicht helfen.
In Helsinki dämmert es (mir)
Ich würde inzwischen sogar ein bezahlbares Hotel nehmen, doch selbst hier gibt es keine freien Zimmer – und niemand kann mir erklären, warum (und ich ärgere mich, dass ich mir vorher keine Handy-Nummern von Bekannten besorgt habe, die nach ihrem Studium nach Helsinki zogen). Einmal lande ich sogar in einem Flüchtlingsheim, dort telefoniert man für mich andere Herbergen an, kann mir jedoch keine Bettstatt bieten.
Als ich aus einem Hotel komme, geht plötzlich ein beeindruckender Wolkenbruch nieder, der 20 Minuten dauert. Ich stehe unter dem Vordach, wo ich mit Jari ins Gespräch komme. Er kann mein Schlafplatzproblem nicht lösen, mir aber dafür die Abfahrtszeiten des Busses nach Turku sagen.
Der nette Jari und der böse Regen
Wenig später krempele ich meine Hose hoch und mache mich im Regenponcho auf den Weg zur Busstation, wo ich um 23 Uhr Richtung Turku aufbreche. Das ist natürlich ein Verstoß gegen meine Tramperregeln, aber ein verzeihbarer, immerhin habe ich ja nicht aufgrund fehlender Mitfahrgelegenheiten aufgegeben. Und überhaupt: Improvisation ist alles.
Die Idylle trügt
Zweieinhalb Stunden fahren wir durch die Vollmond-Nacht Richtung Westküste. Ich erinnere mich an eine Stelle bei Kerouacs „On The Road“, bei der er in einem Bus eine süße Mexikanerin kennenlernt, die ihn gleich für einige Tage mit nach Hause nimmt. Mir ist solch ein Glück nicht beschieden: In Turku stieg einzig eine Dame mittleren Alters mit einer Tasche voller Wein und Schnaps sowie einer großen Plastiktüte voller Bierflaschen ein. Auch in Turku irre ich zunächst durch die Stadt, weil die wenigen Hotels im Ort voll sind. Am Ende finde ich zum Glück eine kleine Absteige.
Den Mittwoch verbringe ich damit, in der Fußgängerzone Menschen zu beobachten und die Zeit bis zu meiner Fährenabfahrt um 21 Uhr totzuschlagen. Die Finnen wirken im Alltag beileibe nicht so melancholisch, wie wenn sie auf Booten traurige Musik hören. Ganz im Gegenteil. Der gesunde Pragmatismus, den meine Reise verlangt, ist auch ihnen nicht fremd. Ich werde ihn hoffentlich über das Meer mit hinübernehmen können. Ich bin sicher, dass Skandinavien noch einiges an Improvisation fordern wird.
It is my eleventh day on the road now and I finally find some time to write something for my English-speaking friends/readers. As expected, the trip has been amazing. There have been many kind people who picked me up with no hesitation and also shared parts of their life-story with me. Even though I sometimes had to wait for some hours, I have been basically very lucky – and once you get a car, the whole delay is forgotten.
Unforseen traffic between Hungary and Slovakia
My route until now went like this: Munich (Aug. 15th) – Ljubljana/Slovenia – Balaton/Hungary – Budapest – Krakow/Poland – Warsaw/Poland – Suwaltki (border Poland-Lithuania) – Riga/Latvia – Tallinn/Estonia (only a few hours, though) – Helsinki (by boat) – Turku.
I met many people on the road, in the Hostels and by Couchsurfing (thanks to all of you great hosts!), so I just want to note some personal highlights:
-the way to Ljubljana went pretty smoothly, even though I passed an exit and had to take a Taxi from Salzburg to get back to the highway. In Ljublajana, I met four female Polish students who hitchhike every year in the summer, this year around the Balkan. I felt very amateurish, hearing that.
Four Polish hitchhike-professionals and my Slovian host
-from Hungary to Poland, a Turkish trucker took me with him. He was speaking German and gave me insight into how truckers manage to live on the road. It was very fascinating to see how somebody can have a double life that does not feel like one. He and his friends invited me to have lunch and tea at their truck. Very kind people.
Having lunch with new friends
-in Poland, I met plenty of young people who told me how their country is evolving. To Sulwaki, two potheads took me with them. They smoked weed while driving and made some crazy maneuvers to overtake other cars. Priceless how we went into the city with Michael-Jackson-songs playing and us smoking cigarettes while enjoying the Saturday afternoon sun
"Do you mind us smoking Marihuana?"
-in Lithuania, my driver threw me out in the middle of the highway, where I had to walk a few kilometers to get on the right track again. I also had to hitchhike in woods or very rural places, which tends to be exhausting because of the waiting time, but beautiful because of the landscape.
Waiting in Lithuania, but not in vain
-in Latvia, an older blond lady (makeup-artist) took me with him who told me she liked I was German because she had two German shepherd-dogs. They are called Giorgio and Armani. The lady also said she had done Astral travels in space.
-I met some other hitchhikers on the street, a French couple, for example, and Jan from Czech in Poland. He went to Finland to see a girl there, an “Erasmus thing”, as he told me with a big grin.
-in Helsinki, I did not find a place to stay, which is why I had to travel on to Turku in the night by bus. Though this was not a pleasant experience, it is good to know there is always a lot of room for improvisation.
Estonia behind, the future ahead
Not even half of my journey is over, which feels crazy, because so many things have been happening. My beard has been growing, so has my confidence in being on the road. It is a bit of stress to keep the blog and to get to the highways, but at the same time, there are quiet and simply beautiful moments. My feet are full of blisters, my body sometimes aches in the evening and I tend not to get many warm meals – but still it feels so real, so here and now, so alive. And I feel very grateful for that.
My shadow stays with me, as we leave it all far behind.
Und es hat doch noch aufgehört zu regnen heute Nachmittag, und nun scheint auch noch die Sonne, während ich am Terminal im Hafen von Tallinn warte. Um 18 Uhr geht es nach Helsinki, per Fähre, weil der Wasserweg nach Finnland der deutlich angenehmere ist. Allerdings ist es mir etwas peinlich, dass ich Estland nur im Schnelldurchlauf besucht habe. 20 Stunden sind zu wenig für dieses Land, aber ich komme ja sicher einmal wieder vorbei.
Ein Bloggertramp unter den Wolken
Den Aufenthalt angenehmer hätte mir auch besseres Wetter gemacht; allerdings goss es heute früh in Pärnu „wie aus Kübeln“, weshalb der Strandbesuch ausfiel. Doch ich hatte Glück, dass mich nach 20 Minuten an der Straße Bettina, eine Deutsche auflas (und sofort erkannte, dass ich Deutscher bin – „Wer sonst tut sich sowas an?“). Bettina ist Kamerafrau und hat gerade den Sommer am Peipussee verbracht, der Estland und Russland trennt, wo sie über die Altgläubigen dort eine Dokumentation gedreht hat. Bettina ist das Streben nach Freiheit nicht fremd, weshalb wir auch über Sinn und Ziel einer solchen Reise diskutiert haben, während das defekte Navi alle 10 Sekunden die aktuelle Route ansagt.
Kleiner Peipussee zwischen Pärnu und Tallinn
Bettinas Leitsatz ist nicht neu, und dennoch darf er nicht oft genug wiederholt werden, um Bloggertramp zu begreifen: Manchmal gibt es einen Weg und ein Ziel, und manchmal entwickelt sich alles – auch, was die persönlichen Schlüsse und Auswirkungen betrifft. Ich weiß, dass es selbst etwas dauern wird, bis ich die vielen Eindrücke verarbeitet habe, und ich werde sicherlich eine angemessene Form dafür finden. Ob dies öffentlich oder einfach nur für mich selbst stattfinden wird, werden wir sehen.
Gerade gehen Bootspassagiere zum Boarding, viele von ihnen Finnen mit reichlich Alkoholreserven (hier gibt es für die Kartons mit den Bierdosen extra Rollwägen). Schon bei der letzten Kneipe vor dem Terminal konnte man einige Passagiere beim Vor- und/oder Nachglühen erleben, ich wurde von ihrem Schwanken selber ganz seekrank.
Finnland wird eine Art Heimspiel für mich, da ich hier meine Erasmuszeit verbracht habe. Die Vergangenheit zurückholen kann und will ich nicht, weshalb ich auch meinen Studienort ausspare und von Helsinki morgen nach Turku weitertrampe, wo bereits abends die Fähre nach Stockholm wartet. Allerdings gebe ich zu, dass ich ein bisschen Angst vor der zur erwartenden Nostalgie habe, vor der Vorstellung, meine Erinnerungen zum Greifen nahe zu sehen und dann doch mit der Hand gegen eine Glaswand zu stoßen, die mich davon trennt. Aber auch das gehört zum Gefühl des Unterwegsseins.
Nun sage ich aber erst einmal dem Baltikum adieu, diesen drei kleinen Landflecken, die so versteckt und doch so zerbrechlich sind, im Schatten des allzu riesig erscheinenden Nachbarn Russland. Für die Zukunft der Kommunikationsgesellschaft ist man hier zumindest gerüstet – das kostenlose W-Lan hat gerade das obige YouTube-Video (9 MB) in 12 Sekunden hochgeladen. Aber das nur für die Nerds unter meinen Lesern (Statistiken zufolge 80 Prozent).
Auch der späte Tramper ist nicht vor kuriosen Begegnungen gefeit: Nachdem ich den Tag lieber in der Stadt von Riga als auf der Straße verbracht hatte, treffe ich erst gegen 16 Uhr an der Autobahn ein – mein Gastgeber hatte mich freundlicherweise dorthin gefahren.
Mein erster Fahrer hält nach zehn Minuten und erinnert ein bisschen an Hans Maulwurf von den Simpsons: Ein älterer Lette mit rundem Gesicht und Brille, dazu ein kleines Auto, mit dem er auf keinen Fall zu viel riskieren möchte. Auf „Richtung Estland“ können wir uns trotz Sprachbarriere einigen. Die nächsten 10 Minuten zuckeln wir klappernd die Straße (die Autobahn Richtung Lettland ist meist eine zweispurige Schnellstraße mit kleiner Ausweichspur) entlang, dann ist meine Fahrt schon wieder zu Ende: Er muss an der nächsten Kreuzung nach rechts Richtung Tartu, bedeutet er mir, ich stehe daraufhin fünf Kilometer hinter Riga auf der Straße, meines guten Startplatzes beraubt.
Autobahn-Sightseeing
Nachdem mich einige Zeit niemand mitnimmt, beschließe ich, auf entlang der Straße Wanderschaft zu gehen. Immerhin ist der Autolärm erträglich, Waldlandschaft und Nachmittagssonne entschädigen mich dafür, dass ich einige Leitplanken überwinden muss, als ich an ein Autobahnkreuz komme. Zudem erlebe ich eine Premiere: Erstmals in meinem Leben laufe ich in einen Rasthof ein, wo ich mir Proviant versorge, falls ich die Nacht im Freien verbringen muss.
Wo Lettlands Autofahrer rasten
Wenig später folgt Premiere Nr. 2: Eine Frau, die alleine unterwegs ist, hat mich mitgenommen. Auch sie – 42, die Gesichtszüge erinnern ein bisschen an eine Büroversion von Brigitte Nielsen – fährt nur wenige Kilometer, und doch wird es kurios. Meine Angabe, Deutscher zu sein, erfreut sie außerordentlich: „Ich habe zwei deutsche Schäferhunde“, sagt sie in breitem Englisch mit Ost-Akzent, „sie heißen Giorgio und Armani.“ Einer von beiden hat heute auch Geburtstag, weshalb wir die nächste Ausfahrt abbiegen und vor einem Friedhofsblumenladen halten. Mit einer überdimensionalen Geburtstagslilie kommt meine Fahrerin strahlend heraus. Kurz darauf werde ich bereits in die höhere Mystik eingeweiht. „Ich bin Christin, Buddhistin, glaube an den Sonnengott und bin bereits mit meinem Astralkörper gereist“, erklärt sie mir. Auch Nietzsche und Engels hätten an außerkörperliche Materie geglaubt.
Wenige Kilometer später stehe ich am Straßenrand, während die Sonne immer näher an den Horizont wandert, habe aber Glück, als mich ein Pärchen zur nächsten Tankstelle mitnimmt, wo ich Arkadi, einen estnischen Rapsölverkäufer, anspreche. Er nimmt mich mit und noch während der letzten Sonnenstrahlen taucht links die Ostsee neben der Autobahn auf. Am Ende lande ich in Pärnu, einem estnischen Ostseee-Kurort. Obwohl Saison ist und die Hotelpreise vergleichsweise saftig sind, ist in der „Sommerhauptstadt Estlands“ (Arkadi) kaum etwas los. Auch das Badevergnügen fällt ins Wasser: Als ich am Morgen aufwache, regnet es bereits.
Brummende Sommerhauptstadt
Anmerkung: An dieser Stelle bitte ich Euch schon einmal um Vorschläge, von wo es ab Oslo weitergehen soll. Ich plane, dort nächsten Montag oder Dienstag weiterzufliegen. Bitte nur innerhalb Europas, Orte, an denen ich noch nicht war und keine absurden oder überteuerten Routen. Vielen Dank an Euch, auch für die vielen Kommentare und Mails!
Ein paar Impressionen (alle Bilder CC, Attr-Share-Alike).
"Folge der schwarzen Katze, Neo!"Sie wollte doch nur Eis verkaufen: Die Vögel, Teil IIEine neue Jugendgang versetzt Riga in Angst und SchreckenSonnenbadWelcome to the jungleLettlands Monaco FranzeAls er sich zum Überfall des Ladens bereit machen wollte, bemerkte Little Eddy, dass er beobachtet wurde
Tramper ohne Blog, dafür mit Schild (Alle Rechte vorbehalten)
Der Tag heute hatte viele Auf und Abs, doch das war nur der Rahmen dafür, dass die Reise nun eine etwas andere Bahn nimmt (im Bild übrigens Jan aus Tschechien, den ich an der Straße getroffen habe. Er ist auf dem Weg nach Finnland).
Ich bin inzwischen in Riga angelangt, und wenn man ein Ziel erreicht, verlieren die Mühen, um dorthin zu kommen, ziemlich an Bedeutung. An zwei Stellen musste ich heute lange warten: Zuerst am Ortsausgang von Suwalki, von wo mich nach anderthalb Stunden schließlich ein lettischer Mercedes-Fahrer bis ins litauische Kaunas mitnahm (und mich mitten auf dem Autobahnkreuz absetzte).
Mann mit Bart und Regenwolke über dem Kopf (Alle Rechte vorbehalten)
Dort kam es dann wiederum über 90 Minuten kein Fortkommen, da nur kurzhaarige Männer mit ihren blonden Frauen und/oder älteren Schwiegermüttern unterwegs waren. Bei einer Rest-Entfernung von 260 Kilometern bis Riga (und wir reden nicht von deutschen Autobahnkilometern) erfüllte mich ein bisschen Panik, bzw. eher Machtlosigkeit, weil als Alternative immer noch das Autobahn-Motel als Übernachtungsmöglichkeit hätte dienen können. Schließlich aber nahm mich um halb sechs abends (!) Dainis, ein lettischer Trucker, mit nach Bauska, von wo ich kurz vor Sonnenuntergang innerhalb von zehn Minuten wegkam, weil Andris (Psychologe im Marketing) mich aufgabelte.
Mini-Stopp in Bauska (CC,Attr-Share-Alike)
Dies die Kurzfassung meiner heutigen Route, doch es gibt noch eine andere Erkenntnis: Die wuchs bereits, als ich mich auf den Weg zum Ortsende von Sulwaki machte und dort wartete. Denn die Wege zur und entlang der Straße, die durch die Natur führen, sind mir bisher die schönsten Momente, die ich alleine verbringe. Jetzt, nach einer Woche und einer ziemlich gewaltigen Strecke, will ich von meiner Reise mehr als Kilometer mitnehmen und auch den Stresslevel etwas senken. Man könnte sagen, die nächste Bloggertramp-Phase beginnt.
Dass sie hier im Baltikum startet, ist kein Wunder: Von hier kommen nicht nur einige meiner Freunde, es ist auch der Ort, wo die Landschaft langsam skandinavischer, ruhiger, in sich gekehrter wird. Es sind oft keine Dörfer, sondern kleine Siedlungen oder einzelne Häuser, die dort in der Landschaft stehen. Manchmal spielt eine Mutter davor mit ihrem Kind, ein andernmal steht eine Kuh vorm Haus. Die Wiesen Litauens sind sowieso voller Kühe, im Laufe der Fahrt sind wir bestimmt an 20 Bauern vorbeigekommen, die gerade mit dem Melken beschäftigt waren. Ab und an stand auch ein Pferd regungslos auf der Weide, das Einzelgängertum dieser Tiere konnte mir aber niemand erklären (ebensowenig wie den Grund, weshalb Dainies‘ Navigationssystem Kuhlaute ausstößt).
Von oben herab (CC, Att-Share-Alike)
In diese Atmosphäre werde ich in den nächsten Tagen tiefer eintauchen. Morgen nachmittag trampe ich zwar Richtung Tallinn los, doch werde wahrscheinlich irgendwo in der Mitte in der Nähe der Ostsee Station machen, vielleicht sogar zelten. Das bedeutet, dass der ein oder andere Blogpost mal etwas dauern kann, aber das könnt Ihr ja verkraften.
Am Ende möchte ich noch ein paar Worte über meinen Couchsurfing-Gastgeber Marts verlieren. Marts baut zur Zeit seine Wohnung um, in der er mit seiner Freundin und drei Kindern am Rande Rigas lebt. Das hat ihn ebensowenig wie die Auswirkung der schwierigen Wirtschaftslage Lettlands nicht daran gehindert, seit Juni 15 Gäste zu empfangen.
Wir sind beide 31, doch komme ich mir mit meinem Sturz-in-den-Tag-Projekt Bloggertramp im Vergleich beinahe wie ein Teenager vor. Marts‘ Ruhe, Verortung werde ich auf der Straße nicht finden – aber Menschen zu treffen, die sie ausstrahlen, gehört zu den vielen Geschenken, die ich unterwegs schon erhalten habe.
Am Ende noch eine kurze Info: Ben war dankenswerterweise so nett, und hat eine Google Map zu meiner Route erstellt. Ab morgen auch hier in der Navi zu finden.
Der Blick aus meinem Hotelzimmer täuscht etwas. Suwalki ist nicht schön, nimmt man einmal den Stadtpark aus. Es ist eine langgezogene Durchfahrtsstadt, die das Schicksal so vieler Grenzorte teilt: Niemand will hier bleiben.
Mein Hotel, das „Hańcza“, besticht ebenfalls durch den Charme der Tristesse und erinnert mich frappierend an das Berliner Verlagshaus. Gebäude, Personal und Ambiente würde ein Zeitreisender spontan in die UdSSR der Achtziger einordnen, die dunklen Teppiche, verrauchten Hotelzimmer und schummrigen Gänge würden Gerd Ruge wahrscheinlich ganz melancholisch machen.
Willkommen zurück, Herr Gorbatschow
Die Erkundung des Nachtlebens zeigt, dass es hier eher traditionell zugeht – und eigentlich das Leben in der Provinz überall in Europa ähnlich ist. Ich folge unauffällig einer Gruppe junger Menschen in der Hoffnung, sie zeigten mir den Ort, den man hier gesehen haben muss. Es stellt sich heraus, dass sie einen 24-Stunden-Markt anpeilen, um dort Alkohol zu kaufen. Alkoholgeschäfte spielen ohnehin eine zentrale Rolle in der Abendgestaltung, in der „Galeria Alkoholi“ am Stadtpark geben sich die Menschen die Klinke in die Hand. Übrigens finde ich, dass eine „Galeria Alkoholi“ um einiges lebensnäher als beispielsweise eine „Galeria Kaufhof“ wirkt.
Ein beschränktes Sortiment hat auch Vorteile (CC, Att-Share-Alike)
So wandere ich ziellos durch die Straßen und kann unter anderem durch ein Fenster eine Tanzgesellschaft im besten Alter (Hochzeit? Silberhochzeit?) beobachten, die engagiert die Hüften schwingt, während ein Fotograf auf Rollerblades (!) zwischen ihnen umherfährt und Bilder macht.
Als ich schon glaube, die bunten Lichter im örtlichen Handyladen seien die einzigen Diskolichter der Stadt, finde ich doch noch einen Pub/Club mit Tanzfläche. Während ich an der Bar noch ein paar Zloti loswerden will, tanzen ein paar Meter weiter kurzhaarige Jungs (Männer mit Frisuren sind an diesem Abend eher selten) mit äußerst jungen Frauen zu bester Eurodance-Mucke.
Saturday Night Fever (CC, Att-Share-Alike)
Diese ist es dann auch, die heute morgen durch den Gang schallt und mich aus meinen Träumen reist. Ein passender Start in den Tag, der heute in etwa 380 Kilometer Entfernung in Riga enden soll. Allerdings werde ich heute wohl das erste Mal in den Regen kommen.
Als ich vorhin das Video aufgenommen habe, war ich noch euphorisiert (nein, nicht bekifft). Nun erfahre ich, dass Christoph Schliingensief gestorben ist. Das ist traurig und ein Schlag für die deutsche Kulturszene. Soviel Anarchismus ist nie wieder.
Vielleicht hätte Schlingensief am zweiten Teil meiner heutigen Etappe in die Nähe der litauischen Grenze seine Freude gehabt, wieder einmal wird ein typisches Klischee erfüllt. Einem Romanautoren würde das der Lektor mit der Begründung „zu abgegriffen und unrealistisch“ rausstreichen.
Der heutige Tag gliederte sich eigentlich in drei Teile. Bis Mittag war ich in Warschau mit Straßenbahn und Bus unterwegs, um auf die Schnellstraße Richtung Nordosten zu gelangen. Dabei fuhr ich einmal mit der Tram in die falsche Richtung, dann mit dem Bus zu weit. Am Ende stand ich um kurz vor 13 Uhr an der Straße.
Was an der Stadtgrenze von Warschau passiert, bleibt auch an der Stadtgrenze von Warschau (CC, Attr-Share-Alike)
Doch wieder einmal werde ich vom Glück geküsst: Mit Mariusz und Lukasz nehmen mich zwei angenehme Zeitgenossen nacheinander mit. Beide fahren übers Wochenende zu ihren Eltern, und beide helfen mir, wo sie können, zeigen mir auf der Karte Alternativnummern, Mariusz gibt mir sogar seine Telefonnummer, falls ich in Polen Ärger bekommen sollte.
Im Laufe der Fahrten werden wir jedoch immer stiller, da die Landschaft Richtung Masuren immer sehenswerter wird. Nicht unbedingt spektakulär wie in Österreich oder Slowenien, sogar ein bisschen chaotisch reihen sich Felder, Bäume, Waldstücke und Häuser aneinander. Zwischendurch wird die Walderfahrung ein bisschen bizarr, als am Straßenrand Menschen Waldfrüchte und Pfifferlinge, wenige Meter weiter Frauen vereinzelt ihren Körper anbieten.
Und trotzdem ist es eigenartig schön, friedvoll, fast ein fahrendes Gemälde: Die kunstvoll gebauten Storchennester auf Telefonmasten, das Gelb der abgeernteten Getreidefelder, die Schilder, die vor Kühen warnen, eine alte Bauersfrau, der ihre Tochter aus dem Auto hilft. Es ist vielleicht die friedvollste Fahrt bislang, ich bin nicht auf der Straße, um an ein Ziel zu gelangen, sondern einfach um zu sein. Lukasz, der Feuerwehrmann ist, hat den Soundtrack zum Dylan-Film „I am not there“ eingelegt, und ich bin da, hier im Jetzt.
Unscheinbare Weiten (CC, Attr-Share-Alike)
Er lässt mich an einer Haltebucht (die Straße ist weiterhin einspurig und wird es auch bleiben) raus, wo ein wettergegerbtes Bauernpaar Kartoffeln, Karotten und Pflaumen verkauft. Ich hole mir ein paar Pflaumen, gleichgültig wickelt die Frau den Kauf ab, während ihr Mann stoisch auf die Straße blickt und nur ab und zu eine Pflaume in den Mund schiebt und sie geräuschvoll zerkaut. Ich lege mich ein paar Minuten ins Gras am Straßenrand und blicke in den Himmel. Ohne Gedanken, den perfekten Samstag erlebend.
Er guckt, die Frau wartet hinter dem Wagen, um dann zu verkaufen (CC, Attr-Share-Alike)
Der pastorale Teil meiner Reise endet, als mich wenige später zwei Jungs mitnehmen. L. und S. Sind auf dem Weg nach Augustow, um zu feiern. L. ist etwas fleischiger, trägt seine kurzen Haare offen, während S. sie unter einer Baseballkappe versteckt, beide haben ihre Waden ziemlich volltätowiert. L. verwendet das polnische Schimpfwort „Kurva“ ungefähr in jedem achten Wort, S. in jedem Dritten. S. arbeitet in einer Druckfabrik, L. ist arbeitslos. „Die ganze Zeit frei“, sagt er anerkennend, ist aber wohl selber nicht ganz begeistert davon.
Ich sitze auf dem Rücksitz und wir plaudern, die Jungs haben mir zur Begrüßung gleich eine 0,5-Liter-Dose Red Bull in die Hand gedrückt.. L. übersetzt für S. und überbringt mir die frohe Botschaft: „Ist Dein glücklicher Tag heute“, sagt er grinsend, „wir haben beschlossen, nach Suwalki zu fahren.“ Und er ergänzt: „Hast Du was dagegen, wenn wir Marihuana rauchen?“
Boys will be boys (alle Rechte vorbehalten)
Die beiden holen eine kleine Pfeife heraus, mit der sie sich schnell ein paar Köpfe ziehen. Ich lehne dankend ab, könnte aber etwas Beruhigung gebrauchen: L.’s Überholmannöver lassen für Risiko-Liebhaber keine Wünsche offen, gefährlich nahe kommt uns so mancher LKW auf der Gegenfahrbahn. Plötzlich halten die beiden mit einer Vollbremsung an einer Tankstelle an. „Ich hol mir ne Sonnenbrille, hab meine vergessen“, sagt L., wird dann aber nicht fündig.
Die nächsten 80 Kilometer höre ich viele „Kurvas“, bekomme den Zustand des polnischen Boxsports erklärt und gucke aus dem Fenster, wo nun eher Gewerbegebiete dominieren. An die riskanten Überholmannöver habe ich mich inzwischen gewöhnt, und als wir um fünf nach Suwalki einfahren, dröhnt aus den Boxen in höllischer Lautstärke „Black or White“ von Michael Jackson, während wir drei mit einer Kippe in der Gosche bestens gelaunt mitwippen. Auch das ist das Tramperleben, Samstagabend in eine neue Stadt einfahren und keine Pläne und Sorgen zu haben. Am Ende tauschen wir Telefonnummern und die beiden verschwinden in eine Bar. Falls ich sie später wiedertreffen sollte, dürften sie mir einige Biere voraus haben.
Show me the way to the next Whiskey bar (all rights reserved)