Archiv der Kategorie: England

Tag 25: Stiller Regen


Ich bin zurück auf dem Kontinent, zurück von den Inseln, die mir einige der nachdenklichsten wie witzigsten Momente meiner Reise beschert haben. Eine letzte Nacht in London in Pubs und auf Hausdächern, übermüdet mit dem Zug zur Fähre von Dover nach Calais (ich gebe es zu, das ist geschummelt, doch die Tubes zur Autobahn hätten genauso lange gebraucht). „Fußpassagiere“ sind hier selten, drei Backpacker und ein einsamer Rollstuhlfahrer sind es dieses Mal.

Einen von ihnen, Ethan, lerne ich auf dem Weg in die Stadt kennen, als er gerade gegen sein Regencape kämpf. Ethan kommt aus Massachusetts und reist durch Europa, um sein letztes Geld vom Einsatz im Irak 2007 zu verprassen.

Bald jedoch trennen sich unsere Wege wieder, nur die Autos und das Plätschern des Regens ziehen mit mir weiter. Es dämmert, als ich die Suche nach einer Straße Richtung Dünkirchen abbreche. Mein Ziel zu erreichen steht nicht mehr im Mittelpunkt, vielmehr ist dieser 25. Tag der Reise bereits ein leises Ausklingen. Am Donnerstag geht es nach Brüssel und von dort Freitag und wahrscheinlich auch noch Samstag Richtung München.

Tag 24: London

Für die Dokumentation seines London-Besuches hatte er sich ein ganz besonders originelles Motiv ausgesucht.
Die Queen beim Stadtbummel
Ruhe vor dem Taubenangriff
Sie lebten nun schon seit Jahren in London, doch täglich aufs Neue musste Speedy mit seinem Frauchen auf Sightseeing-Tour
Sie waren ein Team, doch Tauben und Menschen zogen es weiterhin vor, sich in den Pausen aus dem Weg zu gehen
Eigentlich hatte Graham auf einen romantischen Spaziergang gehofft, doch wie immer wollte Dorothee nur über die Brückenarchitektur der Stadt reden
In der Marketingabteilung knallten die Sektkorken: Die Anschaffung des Reimlexikons hatte sich bereits ausgezahlt.
"Superhelden für Weltrettung gesucht" hatte in der Anzeige gestanden. Doch in der fünften Woche wurde die Gruppe langsam misstrauisch: Hatte Shopbesitzerin Mary sie reingelegt?

Tag 23: Gelassenheit

Die letzte Bloggertramp-Woche hat begonnen und der Wunsch, voranzukommen, ist einer friedvollen Gelassenheit gewichen. Ich habe keine Eile mehr, selbst wenn ich wie gestern fast zwei Stunden an einer Raststation kurz hinter Liverpool warten muss. Es gibt kein Ende der Straße, zumindest nicht bei dieser Reise.

Für die Wartezeit werde ich wieder einmal belohnt: Kevin, der mich von Birmingham bis auf die Höhe von Northampton mitnimmt, ist in jeder Hinsicht ein Glücksfall. Während ich über den Rastplatz streune, ruft er mich zu sich. Mein Erstaunen, nun sogar schon von Fahrern angesprochen zu werden, könnte größer nicht sein. „Hey, ich brauche Unterhaltung, hier gibt’s nur Staus“, sagt Kevin lachend.

Wie sich herausstellt, ist er erst seit Oktober vergangenen Jahres zurück in England, nach 13 Jahren auf den griechischen Inseln. Dort, so erzählt er, war er Handwerker, Kellner, Wasserskilehrer – sein Grundstück mit zugehörigem Olivenhain hat er immer noch, im Herbst ist Ernte, in drei Wochen muss er eine Tonne pflücken, damit sich die Reise dorthin rentiert. „In Griechenland würde ich jetzt mit T-Shirt und kurzen Hosen umherlaufen“, erzählt er, während draußen heftige Schauer niedergehen. Seine Frau wurde krank, weshalb sie der Hitze im Süden entfliehen mussten – sich mit der Situation zu arrangieren ist kein Problem, dafür ist Kevin ein viel zu gut gelaunter Typ, seine Späße („Hey, wir stehen schon wieder, lass uns ein paar Discolichter aufstellen und eine Party machen“), Anekdoten und Streitereien mit seinem Navigationsgerät („this lady has her own ways“) lassen die Zeit flugs vergehen.

Am Rastplatz von Northampton trübt sich die Stimmung kurz etwas ein, es gießt wie aus Eimern und die Dunkelheit hat das Land bereits erreicht. Mein Belfaster Geschenkpapier, auf das ich mein Ziel geschrieben habe, durchweicht innerhalb weiniger Minuten. Dennoch habe ich – wieder einmal – Glück: Ein schwarzer BMW hält, in ihm sitzt ein schmächtiger Schwarzer, der mich locker heranwinkt. Edward, so sein Name, ist von meiner Mission beeindruckt: „Hey, wow, but how does I know you ain’t robbin‘ ma?“, fragt er in breitestem afrikanischen Dialekt.

Edward überführt den BMW nach London, um ihn dort für ein paar tausend Pfund zu verkaufen. Die Windschutzscheibe ist an der Seite angesplittert, die Abdeckung zu meinen Füßen herausgerissen, wodurch zahlreiche Kabel sichtbar werden. „They had tou do some things with da signals“, erzählt Edward, er und seine Freunde sammelten Unfallautos auf Schrottplätzen auf, um sie dann wieder herzurichten. Seine Theorie überzeugt mich nicht ganz, aber ich nicke glaubhaft und setze mein Halbwissen ein, um ein paar zustimmende Sätze zu seinen Theorien über Autos zu formulieren. Edward ist seit 2003 in London, davor war er drei Jahre in der Türkei. Großbritannien hat er seit seiner Ankunft noch nicht verlassen, der Grund ist offensichtlich. Eigentlich stammt der 30-Jährige aus Simbabwes Hauptstadt Harare. „Politics are same all over da world“, erklärt er mir auf die politische Situation angesprochen, „people try to hang on to power, it is human. But at one point, you godda think about da masses.“ Dann wenden wir uns wieder den Diskussionen über Audis und BMWs zu.

Am Ende erreichen wir Northolt. Ich bitte Edward, mich an einer U-Bahn-Station rauszulassen. „I will bring you to a side street where it es shorter“, sagt er, und weckt damit meine Alarminstinkte. Tatsächlich biegen wir von der Hauptstraße in eine Sackgasse ab. Edward lacht, „I ain’t gonna (Wort nicht verstanden) you, ya’know, how many miles have we done togetha?“, erklärt er mir, während ich in meinem Kopf bereits zig Szenarien und Fluchtmöglichkeiten durchspiele. Doch Edward raubt mich nicht aus, die U-Bahn-Station ist tatsächlich ums Eck und er lässt sich noch meine Karte geben, um mich auf Facebook zu kontaktieren. Ich erwische gerade noch die letzte U-Bahn ins Zentrum, weil ein netter Schaffner das Drehkreuz für mich öffnet, während der Zug gerade einfährt. 90 Minuten später ziehe ich in ein heruntergekommenes Hostel in Camden Town ein. Eigentlich wollte ich London erst am Dienstag erreichen…

Tag 22: Irland in England

Murphys Gesetz

Hoher Seegang auf der irischen See, während im Bordfernsehen Bambi läuft, verteilt ein Stewart unauffällig Kotztüten auf den Passagiertischen. Hinter mir sitzt ein Deutscher mit Familie und den offenbar irischen Schwiegereltern. Während die Verwandtschaft das üppige Mahl in sich hineinschlingt und unaufhörlich redet, wirkt er etwas blass um die Nase und nimmt nur kleine Häppchen von seinem Reis mit Fischfrikassee. Ich versuche, mir jegliche Gedanken von Seekrankheit zu sparen und in meinem Stuhl sitzend einzuschlafen. Es gelingt, nur ab und zu erwache ich um zu sehen, was das Disney-Reh gerade treibt.

Genug Platz für alles
Bei Wellen und Bier fühlt sich der Ire zuhause

Die Fähre von Dublin nach Holyhead (Wales) hatte ich zuvor nur mit Mühe erreicht. Das nächste Mal sollte ich vielleicht lieber einen Bus oder ein Taxi nehmen, oder mich zumindest vorher im Internet über das richtige Terminal schlau machen, anstatt mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken im weiten Hafen zwischen Petroleumsilos und Frachtcontainern umherzuirren. Diese werden mir nun stärker in Erinnerung bleiben als die beeindruckende Stadt selbst.

Wir Jungs vom Hafen

Erst gegen Abend erreichen wir Liverpool, der eingepreiste Zug von Holyhead braucht nochmals drei Stunden. Meine Dublin-Mitbewohnerin Claira aus Australien nimmt dieselbe Route und kann mir auch gleich ein Hostel empfehlen; als wir in der Liverpooler Innenstadt nach dem Weg fragen, warnt uns eine ältere Dame „Das ist dort hinten, aber seid vorsichtig“. Natürlich ist es weder dort hinten, noch werden wir überfallen.

Den richtigen Weg zeigt uns John, ein freundlicher älterer Herr, der früher als Übersetzer für südostasiatische Sprachen, deutsch und holländisch arbeitete und uns noch vor dem Hostel einen längeren Vortrag über die Besonderheiten des australischen Akzents hält. Bei Nacht macht Liverpool einen ziemlich guten Eindruck, was auch an den älteren Herrschaften liegen könnte, die sonntags offenbar zu ihrem Tanztag gemacht haben.

Die berühmten Liverpooler Ladykracher

Ein Pärchen jenseits der 60 sitzt in einem Hauseingang und flirtet, als wären die beiden Teenager. Gerne würde ich ihrem Gespräch für ein paar Sekunden lauschen, doch die laute Tanzmusik aus dem Pub übertönt sogar den Straßenverkehr. Musik spielt hier eine große Rolle, was auch daran liegen kann, dass es sich bei Liverpool um die größte irische Stadt auf Mainland Britain handelt, wie uns John erklärt hat. „Hier sind all diejenigen geblieben, die es nicht auf das Schiff nach New York schafften.“